Daniela führt ein ganz normales Leben. Zumindest nach außen hin. Auch an ihrem Essverhalten würde niemand etwas außergewöhnlich finden. Im Büro frühstückt sie nicht, zu Mittag isst sie einen Salat oder ein Sandwich. Die Probleme beginnen bei Daniela erst zuhause hinter verschlossenen Türen. An mehreren Abenden pro Woche verliert sie die Kontrolle und verschlingt den gesamten Inhalt ihres Kühlschranks. Danach erbricht sie sich nicht, auch Abführmittel nimmt sie nicht ein. Mit großer Übelkeit und zerfressen vom schlechten Gewissen, weint sie sich in den Schlaf. Daniela hat eine Essstörung, die sogenannte Binge-Eating-Störung.
Wissenschafter haben sich in einer aktuellen Untersuchung dieser oft vernachlässigten Form der Essstörungen gewidmet. Sie wollten wissen, warum der Heißhunger insbesondere abends oder in der Nacht zuschlägt.
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Essen bis zum Anschlag
Menschen mit Binge-Eating-Störung zeigen zumeist folgende Verhaltensweisen:
- periodische Heißhungerattacken
- Essanfälle mindestens zweimal wöchentlich über sechs Monate hinweg
- sehr rasches Essen, reduziertes Kauen
- soziale Isolation
- starke Schuldgefühle und Selbstekel nach den Essattacken
- Übergewicht bis krankhafte Fettleibigkeit
- psychische Probleme
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Schon 2013 stellte ein Forscherteam fest, dass sich das Hungergefühl über den Tag hinweg verändert. Während wir morgens am wenigsten Appetit haben, steigert sich die Lust am Schlemmen bis zum Abend immer mehr. Das könnte auch erklären, wieso wir oft kein Problem damit haben, das Frühstück auszulassen, während uns Dinner Cancelling wesentlich schwerer fällt.
Stärkung für die Nacht
Den gesteigerten abendlichen Hunger dürfte uns die Evolution eingebrockt haben. In den Zeiten vor praktischen Lieferservices und stets vollen Kühlschränken mussten wir abends genug essen, um die Nacht zu überstehen. Heute, wo wir zu jeder Tages- und Nachtzeit Zugang zu jedweden Speisen haben, kann diese genetische Vorsorge aber gründlich nach hinten losgehen.
Aber warum kämpfen manche Menschen mit Heißhungerattacken zu später Stunde und andere nicht?
Den Hormonen ausgeliefert
Die aktuelle Studie beschäftigte sich damit, welche Rolle die Hormone bei Übergewichtigen mit einer Binge-Eating-Störung spielen. Wichtig sind vor allem diese beiden:
- Peptid YY: für unser Sättigungsgefühl zuständig
- Ghrelin: löst das Hungergefühl aus
Die Wissenschafter kamen zu dem Resultat, dass der Peptid-YY-Spiegel am Abend niedriger ist, der von Ghrelin hingegen höher. Empfindliche Hormonschwankungen treten bei übergewichtigen Menschen mit Neigung zu Essattacken gehäuft auf. Bei allen 32 Probanden sorgte Stress zusätzlich für einen Anstieg des Hungergefühls.
Das Henne-oder-Ei-Problem
Die Forscher sind sich allerdings nicht einig, ob die Hormonschwankungen zu diesem schädlichen Essverhalten führen oder ob die psychischen Auffälligkeiten erst den veränderten Hormonhaushalt verursachen. Der Faktor, dass abends die meiste Zeit für Essgelage zur Verfügung steht, müsse überdies mitberücksichtigt werden.