Wann haben Sie zuletzt Ihren Partner oder Ihr Kind angefahren – einfach, weil Sie im Büro einen stressigen Tag hatten? Dass uns Stress ungeduldig und aufbrausend macht, galt lange Zeit als unumstritten. Es scheint aber nicht zu stimmen.
- Aktuelle Studien sprechen eine andere Sprache: Stress erhöht unsere Empathie-Fähigkeit. Und das nicht nur, wie zuletzt postuliert, bei Frauen, sondern auch bei Männern.
- Hormone, die durch Stress ausgeschüttet werden, stellen den Körper also nicht notwendiger Weise auf "Flight or fight" (Flucht oder Kampf) ein, sondern auf "Tend and befriend" (Kümmern und anfreunden).
- Das führt zu prosozialem Verhalten, Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit – wie eine von Wiener Forschern durchgeführte Verhaltensstudie nun zeigt.
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Das Empathie-Experiment
Empathie, also unsere Fähigkeit, die Gefühle anderer nachzuempfinden, ist der Schlüssel zu unseren prosozialen Verhaltensweisen. Sie ermöglicht uns, eine emotionale Verbundenheit mit unseren Mitmenschen aufzubauen.
- In einer Studie, die im Fachjournal "Social Cognitive and Affective Neuroscience" veröffentlicht wurde, beobachteten Forscher die Auswirkung von Stress auf unsere Emotionen.
- Die neuronale Aktivität im "Empathienetzwerks" des Gehirns und die Großzügigkeit der Probanden während des Experiments. Letztere wurde als Indikator für prosoziales Verhalten herangezogen.
- In einer künstlichen Stresssituation mussten 80 Männer unter Zeitdruck schwierige mathematische Aufgaben lösen. Währenddessen wurden sie laufend negativem Feedback ausgesetzt.
- Im Anschluss wurden ihnen Bilder von medizinischen Eingriffen an einer Hand gezeigt. Ein Teil der Versuchspersonen erhielt die Zusatzinformation, dass die Hand betäubt war.
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Mitgefühl unter Stress erhöht
Fazit: Unabhängig von dieser Information hatten die zuvor gestressten Männer stärkere Reaktionen in ihrem Empathienetzwerk. Sie konnten den Schmerz der Handverletzung besser nachspüren als die Kontrollgruppe.
- Dass die Hand betäubt war, spielte dabei keine Rolle. Die Forscher gehen deshalb davon aus, dass unter Stress zwar unser Einfühlungsvermögen wächst, jedoch die Perspektivübernahme nur eingeschränkt funktioniert.
- Auch erwiesen sich die Versuchspersonen in einem Verhaltens-ökonomischen Spiel, bei dem sie Geldbeträge verteilen mussten, als freigiebiger als Menschen ohne Stress.
- Inwiefern diese Erkenntnisse auf den Alltag übertragbar sind, bleibt abzuwarten. Denken Sie in der nächsten Stresssituation daran, dass Sie in Wahrheit empathisch und großzügig sind.
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