Ein Kind mit Fieber, ein hartnäckiger Hautausschlag oder die jährliche Kontrolle beim Augenarzt – eigentlich Routinefälle. Doch wer in Österreich einen Termin bei einer Kassenärztin oder einem Kassenarzt sucht, braucht derzeit vor allem eines: Geduld. Wochenlanges Warten, überfüllte Wartezimmer, verzweifelte Anrufe in Praxen – das ist für viele Menschen längst Alltag. Eine neue Umfrage des Gesundheitsportals DocFinder bestätigt nun, was Patient:innen schon lange spüren: Drei von vier Österreicher:innen bekommen keinen zeitnahen Kassenarzt-Termin.
Warten, warten, warten
Die Ergebnisse der DocFinder-Umfrage sprechen eine deutliche Sprache: Drei Viertel der rund 800 Befragten gaben an, in den vergangenen Jahren Probleme gehabt zu haben, zeitnah einen Termin bei einer Kassenordination zu bekommen. Ob Kinderärztin, Hautarzt oder Gynäkologin – wer nicht privat zahlt, landet oft auf der langen Warteliste.
„Auch bei der regionalen Verfügbarkeit von Kassenärzt:innen und den digitalen Angeboten sehen die Befragten deutlichen Verbesserungsbedarf“, erklärt Gerald Timmel, Geschäftsführer von DocFinder. In vielen Gegenden Österreichs, vor allem außerhalb der großen Städte, ist es besonders schwierig, eine Kassenärztin oder einen Kassenarzt zu finden. Menschen am Land müssen oft viele Kilometer fahren, um überhaupt eine Praxis zu erreichen – und selbst dort gibt es nur wenige freie Termine.
Die Ursachen dafür sind bekannt – und dennoch ungelöst. Einerseits steigt der Behandlungsbedarf durch die alternde Bevölkerung stetig an, andererseits bleibt die Zahl der Ärzt:innen mit Kassenvertrag seit Jahrzehnten nahezu konstant. In den letzten 20 Jahren ist sie nur um ein Prozent gestiegen. In einigen Fachrichtungen, etwa der Allgemeinmedizin, Kinder- und Jugendmedizin oder Gynäkologie, ist sie sogar gesunken.
Wenn Gesundheit zum Luxus wird
Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Wer es sich leisten kann, weicht auf Privatärzt:innen aus. Laut der Umfrage haben fast 40 Prozent der Österreicher:innen mittlerweile eine private Krankenversicherung – Tendenz steigend. Damit wächst auch das Gefühl, dass sich das Gesundheitssystem zunehmend in zwei Klassen teilt: jene, die sich schnell Hilfe leisten können, und jene, die warten müssen.
Für viele Patient:innen ist die Situation frustrierend. Wer zum Beispiel wegen starker Schmerzen einen Facharzt braucht, bekommt nicht selten erst nach Monaten einen Termin. Operationen, etwa Knie- oder Hüfteingriffe, verzögern sich um ein halbes Jahr oder länger. Manche müssen gar mehr als neun Monate auf eine geplante Knie-OP warten – eine Ewigkeit, wenn man Schmerzen hat oder im Alltag eingeschränkt ist.
Laut Gerald Timmel zeigt die Umfrage deutlich, was Patient:innen sich wünschen: ein Drittel fordert mehr Kassenärzt:innen in der eigenen Region, ein weiteres Drittel will kürzere Wartezeiten. Danach folgen digitale Lösungen wie Online-Terminbuchungen – eine Option, die vielen den Weg zur Behandlung erleichtern könnte.
Digitalisierung als Rettungsanker
Ein Lichtblick in dieser angespannten Lage könnte die Digitalisierung sein. Zwar hat Österreich in diesem Bereich noch Nachholbedarf – laut dem Global Digital Health Monitor 2023 der WHO liegt das Land im EU-Schnitt hinter Deutschland, Italien und der Schweiz –, doch das Potenzial ist enorm.
Schon jetzt zeigt sich: Rund 60 Prozent der Befragten möchten einen Ersttermin lieber online vereinbaren als telefonisch. Das spart Zeit, Nerven und reduziert die Belastung für Praxisteams. Auch in Krankenhäusern sehen viele Möglichkeiten: Drei Viertel der Befragten könnten sich vorstellen, Termine direkt bei medizinischen Einrichtungen online zu buchen.
„Digitale Plattformen wie DocFinder erleichtern Patient:innen die Terminvereinbarung, weil sie unabhängig von Öffnungszeiten und Wartezeiten am Telefon genutzt werden können“, sagt Timmel. Besonders beliebt seien Funktionen wie automatische Termin-Erinnerungen, die helfen, Ausfälle zu vermeiden. „Unsere Umfrage zeigt, dass Online-Buchungen tatsächlich dazu führen, dass Termine häufiger wahrgenommen werden – fast jede zweite Person bestätigt das.“
Digitalisierung ist nicht nur ein Komfortfaktor, sondern kann das System messbar entlasten. Weniger Telefonate, weniger organisatorischer Aufwand, weniger „No-Shows“ – und mehr Zeit für medizinische Betreuung.
Die Politik ist gefordert
Auch die Politik hat das Problem erkannt – zumindest auf dem Papier. Im Regierungsprogramm der Dreierkoalition aus SPÖ, Neos und ÖVP ist festgeschrieben, dass Telemedizin und Online-Terminbuchungen gestärkt werden sollen. Doch während andere Länder längst flächendeckende digitale Gesundheitsplattformen eingeführt haben, steckt Österreich hier noch in den Kinderschuhen.
Die Gründe sind vielfältig: komplizierte Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherungsträgern, Datenschutzbedenken und zögerliche Investitionen in moderne IT-Systeme. Hinzu kommt eine gewisse Skepsis auf ärztlicher Seite – viele Praxen arbeiten nach wie vor mit analogen Prozessen.
Dabei könnte die Digitalisierung gerade jetzt helfen, das System zu stabilisieren. Schon kleine Schritte – etwa eine zentrale Online-Terminplattform oder elektronische Wartelisten – würden vielen Patient:innen den Zugang zur Versorgung erleichtern.
Wenn der Alltag zum Hürdenlauf wird
Für Betroffene ist der Mangel an Kassenärzt:innen längst mehr als ein Ärgernis – er verändert ihren Alltag. Ein Beispiel: Eine Mutter in Wien sucht einen Kinderarzt für ihren Sohn, der seit Tagen hustet. Die Ordinationen in ihrer Umgebung sind ausgebucht, am Telefon heißt es überall: „Der nächste freie Termin ist in drei Wochen.“ Also bleibt nur der Weg zur Privatordination – 90 Euro für fünfzehn Minuten Gespräch.
Die sozialen Folgen sind nicht zu unterschätzen: Wer weniger verdient oder auf Kassenärzte angewiesen ist, hat schlicht schlechtere Chancen auf medizinische Betreuung. Das untergräbt das Vertrauen in das System und verschärft gesellschaftliche Ungleichheiten.
Ein System in Schieflage
Die meisten Menschen schätzen nach wie vor die hohe Qualität der medizinischen Versorgung – sobald sie einmal im Behandlungsraum sind. Doch die Zugangsbarrieren wachsen.
Umso wichtiger sind Initiativen, die neue Wege zur Versorgung öffnen. Dazu gehört nicht nur die Digitalisierung, sondern auch eine Neuverteilung von Stellen für Kassenärzte, eine bessere Bezahlung für Allgemeinmediziner:innen und attraktivere Arbeitsbedingungen, um junge Ärzt:innen im Land zu halten.
Denn eines zeigt die Umfrage von DocFinder deutlich: Der Wunsch nach Veränderung ist groß – sowohl bei den Patient:innen als auch bei den Ärzt:innen.
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