Es gibt wohl kaum ein Thema, das so viele Emotionen auslöst wie Kinderwunsch. Wer schon einmal monatelang gehofft, gezittert und vielleicht auch gelitten hat, weiß: In solchen Phasen klammert man sich an jede mögliche Hilfe. Und wenn dann in den sozialen Medien plötzlich ein vermeintlicher Geheimtipp die Runde macht – eine einfache Tablette aus der Apotheke, rezeptfrei und günstig – ist die Versuchung groß, ihn auszuprobieren. Genau das passiert gerade mit Mucinex, einem Hustenlöser aus den USA.
Von der Erkältungspille zur Fruchtbarkeits-Hoffnung
Mucinex enthält Guaifenesin, einen Wirkstoff, der seit Jahrzehnten bekannt ist. Seine Aufgabe: Schleim in den Atemwegen verflüssigen, damit er leichter abgehustet werden kann. Wer erkältet ist, kennt das Prinzip – der Husten löst sich, die Bronchien fühlen sich freier an.
Auf TikTok lautet die Theorie nun: Wenn Guaifenesin Schleim in den Atemwegen verflüssigt, dann vielleicht auch den Schleim am Gebärmutterhals. Und dieser sogenannte Zervixschleim spielt eine zentrale Rolle bei der Fortpflanzung. Ist er zu zäh, haben Spermien Schwierigkeiten, bis zur Eizelle vorzudringen. Ist er dünn und durchlässig, erhöht sich die Chance, dass eine Befruchtung gelingt.
Was für die einen nach logischer Überlegung klingt, ist für die Wissenschaft jedoch ein ziemlich gewagter Sprung.
„Ich habe es probiert – und bin schwanger“
Die Methode begann mit einer TikTokerin namens Amanda Macgibbon, die online ihre Erfahrung teilte: „Ich bin eine echte Mucinex-Gläubige. Es hat bei so vielen Frauen funktioniert, vor allem bei denen, die jahrelang versucht haben, schwanger zu werden. Ich habe es genommen, beim ersten Versuch – und wir sind schwanger.“ Unter ihrem Video finden sich mehrere Kommentare, die ihre Erfahrung bestätigen.
@amanda_macgibbon Replying to @Yaaasitsme ✨Mucinex Method✨ My most asked question 🤰🏻🌈👶🏻Answered #mucinex #mucinexpregnancy #mucinexmethod #pregnant #pregnancy #pregnancyjourney #rainbowbaby #pregnancyaftermiscarriage #infertility #ttc #ttccommunity #secondaryinfertility #factor2 #mthfr #pcos #pregnancytest ♬ original sound – Amanda MacGibbon
Gibt es wissenschaftliche Beweise?
Doch Ärzt:innen und Wissenschaftler:innen mahnen zur Vorsicht. Es gibt derzeit keine große Studien, die zeigen, dass die Einnahme von Guaifenesin die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft erhöht.
Tatsächlich existiert lediglich eine kleine Studie aus dem Jahr 1982, die eine mögliche Wirkung nahelegte. Doch die Zahl der Teilnehmerinnen war winzig, die Methodik schwach, die Ergebnisse kaum übertragbar. Seitdem hat niemand die These ernsthaft überprüft.
Das liegt auch daran, dass die Natur selbst bereits für den „Mucinex-Effekt“ sorgt: Während des Eisprungs verändert sich der Zervixschleim ganz von allein. Er wird dünnflüssiger, um den Spermien den Weg zu erleichtern. Die Idee, dass ein Hustenlöser diesen Prozess zusätzlich verbessern könnte, wirkt daher eher wie eine Wunschvorstellung.
Warum der Mythos trotzdem so gut funktioniert
Warum schlägt die „Mucinex-Methode“ eigentlich so große Wellen? Zum einen spielt die Macht persönlicher Geschichten eine Rolle: Wenn eine Frau nach jahrelangem Kinderwunsch plötzlich schwanger wird und dabei Mucinex eingenommen hat, wirkt das überzeugend – auch wenn der Zusammenhang rein zufällig sein könnte.
Hinzu kommt die einfache Zugänglichkeit des Mittels: Ein rezeptfreies Medikament für wenige Euro erscheint deutlich unkomplizierter und günstiger als langwierige Fruchtbarkeitsbehandlungen. Nicht zuletzt spielt die Sehnsucht nach Kontrolle eine Rolle: Wer mit einem unerfüllten Kinderwunsch zu kämpfen hat, erlebt häufig ein Gefühl der Ohnmacht, und eine Methode, die man selbst ausprobieren kann, vermittelt zumindest das Gefühl, aktiv etwas bewirken zu können.
Die psychologische Dimension
Nicht zu unterschätzen ist auch die psychologische Seite. Wer lange auf ein Kind wartet, sucht verzweifelt nach Erklärungen und Lösungen. Jede kleine Hoffnung, jede Geschichte einer anderen Betroffenen kann zum Strohhalm werden.
Und wenn es dann tatsächlich klappt – ob mit oder ohne Mucinex – wird der Hustenlöser schnell zum vermeintlichen Wundermittel erklärt. Dass vielleicht schlicht der richtige Zeitpunkt, eine zufällige Einnistung oder andere Faktoren entscheidend waren, gerät dabei in den Hintergrund.
Risiken und Nebenwirkungen
Nun könnte man sagen: „Selbst wenn es nicht wirkt – schaden wird es wohl nicht.“ Doch ganz so einfach ist es nicht.
Guaifenesin gilt zwar als vergleichsweise sicheres Medikament, auch für Frauen mit Kinderwunsch. Es kann aber Nebenwirkungen haben: Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen. Zudem wird Mucinex häufig mit anderen Wirkstoffen kombiniert, etwa Dextromethorphan gegen Hustenreiz. Diese Zusätze könnten potenziell problematisch sein – insbesondere, wenn eine Schwangerschaft vorliegt.
Auch der Hersteller selbst warnt klar: Mucinex ist nicht zur Behandlung von Unfruchtbarkeit zugelassen. In einer Stellungnahme erklärte das Unternehmen, die Einnahme zu diesem Zweck sei ein „Off-Label-Gebrauch“ und nicht empfohlen.
Zwischen Hoffnung und Fehlinformation
Das Phänomen zeigt eindrucksvoll, wie schnell sich medizinische Mythen im Internet verbreiten können. Das Problem: Plattformen überprüfen Inhalte kaum auf Richtigkeit. Was sich emotional gut verkauft, setzt sich durch – ob wahr oder falsch. So können vermeintliche Wundermittel Millionen erreichen, bevor Ärzt:innen überhaupt die Chance haben, aufzuklären.
Mehr Mythos als Medizin
Die „Mucinex-Methode“ ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie Social Media Trends erschafft, die wissenschaftlich kaum haltbar sind – und dennoch große Wirkung entfalten.
- Ja, Mucinex enthält einen Wirkstoff, der Schleim verflüssigt.
- Ja, Zervixschleim ist entscheidend für die Fruchtbarkeit.
- Aber: Nein, es gibt keine soliden Beweise, dass Guaifenesin die Chancen auf eine Schwangerschaft erhöht.
Wer Mucinex ausprobiert, setzt vor allem auf Hoffnung – nicht auf Wissenschaft. Und Hoffnung allein kann stark sein, aber sie ersetzt keine fundierte medizinische Beratung.
Bildquellen
- Mucinex Method: iStockphoto.com / dragana991

