Viele von uns haben kaum jemals bewusst über Selen nachgedacht. Dabei kann gerade dieses unscheinbare Element den Unterschied machen zwischen einem Körper, der voller Energie funktioniert, und einem, der still und schleichend in ein Defizit rutscht. Ein Selenmangel ist nicht selten – und seine Folgen können gravierender sein, als man vermutet. Könntest du betroffen sein?
Was genau ist Selen?
Selen gehört zu den essenziellen Spurenelementen, die der Mensch nur in winzigen Mengen benötigt. Doch gerade diese geringe Konzentration macht deutlich, wie präzise die biochemischen Abläufe im Körper abgestimmt sind. Selen ist Bestandteil von über zwei Dutzend Enzymen, sogenannten Selenoproteinen, die zentrale Funktionen erfüllen.
Sie schützen Zellen vor oxidativem Stress, unterstützen die Funktion der Schilddrüse, stärken das Immunsystem und sind an der Fortpflanzung beteiligt. Besonders wichtig ist Selen für Enzyme, die schädliche freie Radikale neutralisieren. Ohne diese Schutzmechanismen würden Zellschäden und Alterungsprozesse deutlich schneller voranschreiten.
Warum so viele Menschen betroffen sind
Die Hauptursache für eine unzureichende Versorgung liegt nicht im individuellen Verhalten, sondern in der Geografie. In vielen Regionen Europas sind die Böden relativ arm an Selen. Pflanzen, die dort wachsen, nehmen daher nur wenig auf. Österreich zählt, wie große Teile Mitteleuropas, zu Regionen mit selenarmen Böden.
Hinzu kommt, dass moderne Ernährungsgewohnheiten den Mangel verstärken können. Verarbeitete Lebensmittel enthalten oft nur noch Spuren des Spurenelements. Wer sich vegetarisch oder vegan ernährt, ist ebenfalls stärker gefährdet, da tierische Produkte wie Fisch, Fleisch und Eier zu den wichtigsten natürlichen Quellen zählen. Auch bestimmte Erkrankungen, etwa chronisch-entzündliche Darmerkrankungen oder Nierenfunktionsstörungen, beeinträchtigen die Aufnahme und Verwertung.
Symptome, die leicht übersehen werden
Ein Selenmangel entwickelt sich nicht abrupt, sondern schleichend. Die ersten Anzeichen sind unspezifisch: Müdigkeit, Erschöpfung und ein geschwächtes Immunsystem. Häufig kommt es auch zu brüchigen Nägeln, Haarausfall oder trockener Haut. Manche Betroffene berichten von Konzentrationsproblemen oder Stimmungsschwankungen.
Wenn der Mangel über längere Zeit bestehen bleibt, kann er schwerwiegender werden. Eine der bekanntesten Folgen ist die sogenannte Keshan-Krankheit, eine Herzmuskelerkrankung, die erstmals in stark selenarmen Regionen Chinas beschrieben wurde.
Auch die Schilddrüse leidet: Ohne Selen kann sie ihre Hormone nicht korrekt umwandeln, was langfristig zu einer Unterfunktion führt. Männer können zusätzlich eine eingeschränkte Fruchtbarkeit entwickeln, da Selen für die Beweglichkeit der Spermien entscheidend ist.
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Wie viel Selen braucht der Körper?
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt für Erwachsene eine tägliche Zufuhr von 60 bis 70 Mikrogramm. Das klingt nach einer vernachlässigbaren Menge, doch diese „Staubkorn-Dosis“ ist unverzichtbar.
Allerdings ist Selen ein Nährstoff mit schmalem Korridor: Während ein Defizit problematisch ist, kann eine zu hohe Aufnahme ebenfalls schaden. Ab etwa 300 Mikrogramm täglich drohen Vergiftungserscheinungen wie Übelkeit, Durchfall, Haarausfall oder Nervenschäden. Das Krankheitsbild wird als Selenose bezeichnet.
Gerade deshalb ist Vorsicht bei Nahrungsergänzungsmitteln geboten. Viele Präparate enthalten deutlich mehr als den empfohlenen Tagesbedarf, sodass eine dauerhafte Einnahme schnell riskant werden kann.
Selenmangel und chronische Krankheiten
Die Bedeutung von Selen geht weit über die Grundversorgung hinaus. Seit Jahrzehnten untersuchen Wissenschaftler:innen mögliche Zusammenhänge zwischen Selenstatus und chronischen Erkrankungen.
Einige Studien deuten darauf hin, dass eine gute Versorgung das Risiko für bestimmte Krebsarten senken könnte. Andere Untersuchungen finden keinen eindeutigen Zusammenhang. Auch beim Thema Herz-Kreislauf-Erkrankungen und beim Verlauf von Infektionskrankheiten wie Covid-19 stehen Selen und seine schützenden Enzyme im Fokus.
Im Bereich der Altersforschung gilt Selen als möglicher Faktor, der den Alterungsprozess beeinflussen könnte. Da es Enzyme aktiviert, die freie Radikale bekämpfen, wird diskutiert, ob eine optimale Versorgung die Zellalterung verlangsamt. Ob Selen tatsächlich eine Art „Anti-Aging-Mineral“ ist, bleibt jedoch offen.
Natürliche Quellen in der Ernährung
Wer seinen Selenbedarf über die Ernährung decken möchte, sollte gezielt auf bestimmte Lebensmittel setzen. Besonders selenhaltig sind:
- Paranüsse – mit Abstand die reichste Quelle, allerdings stark schwankender Gehalt
- Fisch und Meeresfrüchte – etwa Lachs, Thunfisch oder Garnelen
- Eier – ein klassischer, regelmäßiger Lieferant
- Fleisch – insbesondere Innereien wie Leber und Niere
- Hülsenfrüchte – zum Beispiel Linsen oder Bohnen
- Vollkornprodukte – je nach Anbaugebiet und Bodenqualität
Mit einer abwechslungsreichen Ernährung lässt sich eine ausreichende Versorgung in den meisten Fällen sicherstellen.
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Wie man einen Mangel feststellt
Die Diagnose eines Selenmangels ist nicht immer einfach. Blutwerte geben einen ersten Hinweis – Werte zwischen 80 und 120 Mikrogramm pro Liter gelten als normal. Doch der Selenspiegel im Blut spiegelt nicht immer exakt die Versorgung in Geweben und Organen wider. Ärzt:innen ziehen daher neben den Laborwerten auch die Symptome und die Ernährungsgewohnheiten in Betracht.
Von der Gefahr zur Notwendigkeit
Ein Blick in die Geschichte zeigt, wie paradox die Wirkung von Selen ist. Als das Element 1817 entdeckt wurde, galt es zunächst als giftig. Erst viele Jahrzehnte später stellte sich heraus, dass es in winzigen Mengen lebenswichtig ist. Diese Doppelnatur begleitet die Forschung bis heute: In hoher Dosis toxisch, in niedriger Dosis unverzichtbar.
Bildquellen
- Selenmangel: iStockphoto.com/ TatyanaGl

