Commitment-Phobie: Warum hat die Gen Z Angst vor Bindung?

Ob du selbst noch unter 30 bist oder Freunde aus der Gen Z hast – wahrscheinlich ist dir schon aufgefallen, dass Beziehungen für diese Generation eine ganz neue Ebene an Komplexität erreicht haben. Von „situationships“ über „talking stages“ bis hin zu „rosters“ – die Liebessprache von Gen Z liest sich wie ein Wörterbuch für Geheimcodes. Aber warum fällt es so vielen aus dieser Generation so schwer, sich auf klassisches Dating einzulassen? Die Antwort liegt auf der Hand: Viele kämpfen mit einer regelrechten Commitment-Phobie.

Was bedeutet Commitment?

Bevor wir uns in die Welt der modernen Dating-Angst stürzen, lohnt es sich, den Begriff Commitment kurz zu definieren. Laut dem Cambridge Dictionary bedeutet Commitment ein Versprechen oder eine feste Entscheidung, etwas zu tun. Im romantischen Kontext heißt das, sich emotional und zeitlich auf eine andere Person einzulassen. Und ja, für die meisten Menschen wird Commitment oft automatisch mit Ehe oder langfristiger Partnerschaft verbunden.

Doch für Gen Z ist das nicht mehr so einfach. In einer Welt, in der man per Swipe mit einem unendlichen Pool an potenziellen Partner:innen verbunden ist, wirkt die Vorstellung, sich auf eine Person festzulegen, plötzlich wie eine fast unüberwindbare Herausforderung.

Von „Schmetterlingen“ zu „Situationships“

Früher waren Beziehungen einfach: Man mochte jemanden, man datete ihn, und irgendwann fragte man, ob man zusammen sein wollte. Heute sieht das anders aus. Begriffe wie „Situationship“ haben es in den alltäglichen Wortschatz geschafft. Aber was ist eine Situationship?

Stell dir vor, du hast jemanden, mit dem du Zeit verbringst, flirtest, vielleicht auch intim wirst – aber ihr seid nicht offiziell zusammen. Ihr definiert die Beziehung nicht, ihr habt kein Label. Es funktioniert „für jetzt“ – ohne Druck, ohne Verpflichtungen.

Für viele Gen Zler ist das eine bewusste Entscheidung. Warum sollte man sich auf etwas Festes einlassen, wenn das Leben ohnehin schon chaotisch ist? Jobs wechseln, Umzüge, Studienpläne, Social Media – alles verändert sich ständig. In einer Welt, die sich so schnell dreht, erscheint ein fester Partner oder eine feste Partnerin manchmal wie eine Kette an den Füßen.

Die Angst, etwas zu verpassen

Ein zentraler Faktor der Commitment-Phobie ist die Furcht, etwas Besseres zu verpassen – auch bekannt als „Fear of Missing Out“ (FOMO). Social Media verstärkt diese Angst enorm. Man sieht perfekte Dates auf Instagram, exklusive Urlaube, süße Couple-Videos auf TikTok. Plötzlich wirkt jede Entscheidung wie ein Risiko: „Was, wenn da draußen jemand Besseres ist?“

Dating-Apps tragen ihren Teil dazu bei. Tinder, Bumble, Hinge – unendliche Profile, unendliche Möglichkeiten. Wer möchte sich auf einen Partner festlegen, wenn man jederzeit „swipen“ kann, um einen scheinbar perfekteren Menschen zu finden? Die Wahlmöglichkeiten sind überwältigend, und diese Überforderung macht es schwer, sich emotional zu binden.

Die Rolle der Familie und früherer Erfahrungen

Nicht nur Social Media beeinflusst die Angst vor Commitment. Auch familiäre Erfahrungen spielen eine große Rolle. Wer in einer instabilen Familienstruktur aufgewachsen ist – sei es durch Scheidungen, Trennungen oder Konflikte – entwickelt oft ein gewisses Misstrauen gegenüber langfristigen Bindungen.

Traumata aus der Kindheit können dazu führen, dass Menschen Beziehungen unterbewusst meiden, um Verletzungen zu vermeiden. Sie zögern, sich auf jemanden einzulassen, weil die Angst vor Enttäuschung zu groß ist. Das bedeutet nicht, dass sie keine Liebe wollen – nur, dass sie vorsichtig sind.

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Karriere, Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit

Gen Z ist eine Generation, die stark auf Selbstverwirklichung achtet. Karriere, Reisen, Hobbys und persönliche Projekte haben oft Priorität. Viele wollen sich zuerst selbst kennenlernen, finanzielle Stabilität erreichen und ihr Leben aufbauen, bevor sie jemanden für ein langfristiges Commitment wählen.

Das bedeutet: Beziehung kommt erst, wenn das eigene Leben „steht“. Für vorherige Generationen war das oft umgekehrt: Ehe und Familie waren Meilensteine, die das Leben bestimmten. Gen Z stellt die Reihenfolge auf den Kopf – und das macht es älteren Generationen schwer, das Verhalten nachzuvollziehen.

Psychische Gesundheit und emotionale Intelligenz

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die steigende Sensibilität gegenüber psychischer Gesundheit. Gen Z ist mental aufgeklärter und reflektierter als frühere Generationen. Viele wissen, dass Beziehungen Arbeit und emotionale Energie kosten. Die Angst, durch eine schlechte Beziehung Stress, Ängste oder sogar Depressionen zu erfahren, kann zur Vermeidung von Commitment führen.

In gewisser Weise ist das also kein Mangel an Liebe, sondern ein Ausdruck von Selbstschutz und emotionaler Intelligenz. Commitment wird nicht leichtfertig eingegangen – wer sich bindet, will das Richtige tun und dabei psychisch gesund bleiben.

Polyamorie, offene Beziehungen und neue Formen der Liebe

Eine weitere Entwicklung ist die zunehmende Akzeptanz alternativer Beziehungsformen. Polyamorie, offene Beziehungen oder bewusst unverbindliche Partnerschaften sind keine Randerscheinungen mehr. Gen Z experimentiert gerne mit verschiedenen Modellen, um herauszufinden, was wirklich zu ihnen passt.

Das mag für ältere Generationen verwirrend wirken, ist aber ein Spiegelbild der Suche nach Authentizität und Individualität. Commitment ist nicht verschwunden – es wird nur neu definiert.

Die Angst vor Fehlern und „die Eine“

Perfektionismus spielt ebenfalls eine Rolle. Viele junge Erwachsene suchen nicht nur irgendeinen Partner oder Partnerin, sondern jemanden, der wirklich zu ihnen passt – emotional, intellektuell, moralisch. Die Angst, die „falsche“ Wahl zu treffen, kann lähmend sein.

Jede Beziehung wird wie ein Test betrachtet: Passt diese Person zu meinem Lebensplan? Unterstützt sie meine Werte? Könnte ich mit ihr alt werden? Wer diese Fragen nicht mit „Ja“ beantworten kann, bleibt lieber unverbindlich.

Die Wissenschaft hinter der Angst

Psycholog:innen nennen diese Angst „Gamophobie“ – die Furcht vor langfristigem Commitment oder Ehe. Sie ist eine Form der Angststörung und kann tief verwurzelt sein, sei es durch frühere Traumata, familiäre Erfahrungen oder gesellschaftlichen Druck.

Studien zeigen, dass Millennials und Gen Z stärker unter dieser Angst leiden als frühere Generationen. Während frühere Generationen noch automatisch heirateten oder langfristige Beziehungen eingingen, wägt Gen Z die Risiken ab. Karriere, finanzielle Stabilität, emotionale Reife – alles muss stimmen, bevor Commitment überhaupt eine Option wird.

Kann Dating ohne Commitment funktionieren?

Absolut. Situationships, offene Beziehungen oder bewusst unverbindliche Partnerschaften sind für viele Gen Zler genau das Richtige. Sie ermöglichen Nähe, Spaß und Intimität, ohne den Druck eines offiziellen Labels. Das gibt Zeit, sich selbst zu entdecken und zu verstehen, was man in einer langfristigen Beziehung wirklich braucht.

Doch es gibt auch Risiken: Ungleichgewicht in emotionaler Bindung, Frustration, wenn einer „mehr will“ als der andere, oder das Gefühl von Ablehnung. Diese Risiken müssen bewusst reflektiert werden, sonst kann das Dating-Erlebnis ungesund werden.

Wie kann man Commitment-Phobie überwinden?

Hast du das Gefühl, Commitment in deinem Dating-Leben zu vermeiden? Keine Sorge, du bist nicht allein – und es gibt Wege, damit umzugehen:

  1. Selbstreflexion: Überlege, warum du Angst vor Verpflichtungen hast. Traumata, Ängste oder unrealistische Erwartungen zu erkennen, ist der erste Schritt, um wieder ins Handeln zu kommen.
  2. Kommunikation: Sprich ehrlich mit deinem Partner oder deiner Partnerin über deine Wünsche und Erwartungen. Ghosting oder das Vermeiden von Gesprächen verschärft nur die Angst.
  3. Langsames Herantasten: Commitment muss nicht sofort „für immer“ bedeuten. Kleine Schritte, gemeinsame Projekte oder längere Dates helfen dir, Vertrauen aufzubauen.
  4. Unsicherheit akzeptieren: Keine Beziehung ist perfekt vorhersehbar. Bereit zu sein, Risiken einzugehen, gehört zum Wachsen dazu.

Commitment neu denken

Die Commitment-Phobie der Gen Z ist kein Zeichen von Unreife oder Unfähigkeit zu lieben. Sie ist ein Spiegel der modernen Welt: Überfluss an Optionen, gesellschaftlicher Wandel, Bewusstsein für mentale Gesundheit und ein neues Verständnis von Beziehung.

Für diese Generation bedeutet Commitment nicht nur „Ja, ich bleibe für immer bei dir“. Es bedeutet, bewusst zu wählen, wer man sein Leben lang an seiner Seite haben will, und das ohne den Druck von Erwartungen oder gesellschaftlichen Normen.

Bildquellen

  • Commitment Phobia: iStockphoto.com/ Finn Hafemann

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