„High Maintenance“: Sind teure Beauty-Routinen jetzt Standard?

„High Maintenance“ im Trend: Auf TikTok gelten teure Beauty-Routinen als Statussymbol – doch lohnt der vierstellige Jahresaufwand?

„High Maintenance to be Low Maintenance“ – so nennt sich auf TikTok der neueste Lifestyle-Hype. Aufwendige und teure Beauty-Routinen sind längst kein „Guilty Pleasure“ mehr, sondern werden stolz und ganz selbstverständlich ins Netz gestellt. Ob Influencerin oder „normale“ Userin: In den Clips wird fast beiläufig heruntergerattert, was inzwischen angeblich Standard ist – Gel-Maniküre, Lash Extensions, Dermaplaning, Laser-Haarentfernung, Botox.

Die unausgesprochene Botschaft: Wer jetzt Zeit, Geld und Nerven reinsteckt, spart sich später den Stress. Wer nicht mitzieht, gilt schnell als ungepflegt – oder gleich als „unfeminin“. So wird „High Maintenance“ zum Statussymbol. Aber mal ehrlich: Rechnet sich eine Routine, die locker vierstellige Summen pro Jahr verschlingt?

Vom Luxus zur Notwendigkeit

Früher war eine Maniküre ein besonderes Extra, vielleicht vor einer Hochzeit oder einem großen Event. Heute wird sie auf Social Media als Grundhygiene verkauft. Eine glatte Stirn, makellose Nägel und perfekt geformte Augenbrauen sind heutzutage die Basis.

Die Influencer:innen, die diesen Trend anführen, zeigen stolz ihre Termine beim Friseur, beim Kosmetikinstitut, im Waxing-Studio. Die Rechnung geht für viele nicht auf, denn: Was bei einer Beauty-Creatorin wie lockeres Selbstmarketing wirkt, ist für Normalverdiener:innen oft ein finanzielles Abenteuer.

Viele vergessen: Die, die am lautesten für “High Maintenance” werben, bezahlen ihre Treatments oft gar nicht selbst. Sie bekommen sie als Kooperation, PR-Geschenk oder Content-Idee. Für den Rest der Welt bedeutet „High Maintenance“ dagegen nicht selten: Ratenzahlungen, Dispo oder Kreditkarte glühen lassen.

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Das psychologische Spiel dahinter

Warum fühlen sich so viele plötzlich unter Druck, diesen Lebensstil zu übernehmen? Die Antwort ist so alt wie die Werbebranche: Vergleich.

Social Media ist ein 24/7-Schaufenster. Wir sehen nicht mehr nur Models in Hochglanzmagazinen – wir sehen Kolleg:innen, Schulfreunde, Bekannte aus der Uni, die alle scheinbar makellos aussehen. Das erzeugt eine stille, aber konstante Erwartung: Wenn alle so aussehen, muss das der Standard sein.

Der Haken an der Sache: Der „High Maintenance“-Look wird als Natürlichkeit verkauft. Die Idee dahinter: Man steht morgens auf, und alles sitzt. Kein Mascara, kein Haarstyling, kein langes Zupfen der Brauen – weil all das schon „professionell gemacht“ wurde. Aber die Realität? Hinter der „Natürlichkeit“ steckt ein ganzer Terminkalender.

Die Illusion der Zeitersparnis

Einer der größten Mythen dieses Trends ist die Behauptung, er spare Zeit. Klar, wer Lash Extensions trägt, muss sich morgens keine Wimpern tuschen. Aber dafür sitzt man alle drei Wochen zwei Stunden beim Auffüllen. Wer Laser-Haarentfernung bucht, spart sich das Rasieren – muss aber monatelang regelmäßig zur Behandlung, Sonneneinstrahlung meiden und strenge Pflegevorgaben einhalten.

In Wahrheit wird die Zeitersparnis an der einen Stelle durch einen noch höheren Aufwand an der anderen Stelle ersetzt. Hinzu kommt: Die allermeisten Beauty-Treatments sind nicht dauerhaft. Nägel wachsen raus, Botox lässt nach, Haarfollikel regenerieren sich. „Low Maintenance“ ist also in vielen Fällen einfach nur „regelmäßig teurer Wartungsaufwand“.

“High Maintenance” als Statussymbol

Es geht bei diesem Trend nicht nur um Aussehen, sondern auch um eine stille Sprache des Status. Wer viel Geld und Zeit in sich selbst investiert, sendet das Signal: „Ich kann mir das leisten.“ Ähnlich wie Designerhandtaschen oder Luxusurlaube ist High Maintenance eine Form von Lifestyle-Marketing.

Doch hier lauert die Falle: Wenn solche Routinen als notwendig gelten, verschwimmt die Grenze zwischen Luxus und Grundausstattung. Wer nicht mitzieht, wirkt schnell „nachlässig“ – selbst wenn er oder sie einfach nur Prioritäten anders setzt.

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Die unsichtbaren Mehrkosten für marginalisierte Gruppen

Besonders hart trifft dieser Trend Menschen, die ohnehin schon mit gesellschaftlichen Vorurteilen kämpfen. Frauen mit einer lockigen Haarstruktur (oft schwarze und braune Frauen) zum Beispiel stehen seit Jahrzehnten unter Druck, ihre natürliche Haarstruktur zu „zähmen“, um als „professionell“ zu gelten.

Glattes Haar, aufwendige Flechtfrisuren, teure Pflegeprodukte – all das ist nicht nur zeit-, sondern auch kostenintensiv. In Zeiten steigender Preise sind mehrere Hundert Euro für Haare pro Monat keine Seltenheit. Die sogenannte „4C-Hair Fee“, ein Aufpreis für sehr lockiges Haar in manchen Salons, zeigt, wie strukturell verankert diese Ungleichheit ist.

Ähnlich bei Haarentfernung: Für Frauen mit dunklerer oder dichterer Körperbehaarung ist der gesellschaftliche Druck oft größer – und damit auch der Aufwand, „Standards“ zu erfüllen.

Wenn Luxus zur Schuldenfalle wird

Ein besonders düsteres Kapitel: die Verschuldung durch Beauty-Behandlungen. In Interviews berichten Frauen, dass sie lieber bei Kleidung, Essen oder Freizeit sparen, um ihre Botox-Termine weiter wahrzunehmen.

Das ist kein Zufall. Die Schönheitsindustrie arbeitet gezielt mit Angst – der Angst, alt zu wirken, nicht mehr „frisch“ oder „attraktiv“ genug zu sein. Wer einmal in den Zyklus eingestiegen ist, fühlt sich schnell gefangen: Wenn man einmal den Unterschied kennt, fällt es schwer, auf den alten Zustand zurückzugehen.

Der Mythos rund um „Prävention“

Ein beliebtes Verkaufsargument für “High Maintenance” ist die Prävention – zum Beispiel bei „preventativem Botox“ oder „Baby-Botox“. Die Idee: Wenn man bestimmte Muskeln frühzeitig lahmlegt, bilden sich gar nicht erst Falten.

Klingt logisch, ist aber wissenschaftlich umstritten. Viele Fachärzt:innen sehen darin vor allem eine clevere Marketing-Strategie. Schließlich bindet „Prävention“ Kund:innen langfristig an regelmäßige Behandlungen, ohne dass klar ist, ob der Effekt wirklich den Preis rechtfertigt.

Der psychologische Effekt

Um fair zu bleiben: Für viele Menschen haben Beauty-Rituale auch einen positiven psychologischen Effekt. Sich um sich selbst zu kümmern, kann Selbstvertrauen geben, Stress abbauen, sogar als kreative Ausdrucksform dienen.

Das Problem entsteht, wenn diese Rituale nicht mehr freiwillig sind, sondern als Pflicht empfunden werden. Wenn Selbstfürsorge in Selbstoptimierungsdruck umschlägt, ist der Weg zur Überforderung kurz.

Was sich wirklich „lohnt“

Wer aus dem High-Maintenance-Hamsterrad aussteigen will, muss sich zwei Fragen stellen:

  1. Kann ich es mir leisten, ohne meine finanzielle Stabilität zu gefährden?
  2. Macht es mich tatsächlich glücklicher – oder erfüllt es nur eine Erwartung von außen?

Viele Beauty-Expert:innen sind sich einig: Es gibt ein paar wenige Investitionen, die für die meisten Sinn machen – etwa ein guter Haarschnitt oder der Besuch bei einer Dermatologin bei echten Hautproblemen.

Ansonsten gilt: Eine einfache und kostengünstige Pflegeroutine mit Reinigung, Feuchtigkeitspflege und Sonnenschutz reicht oft völlig. Alles darüber hinaus sollte eine bewusste Wahl sein – nicht das Ergebnis von Social-Media-Druck.

High Maintenance ist selten wirklich „low maintenance“

Der Trend „High Maintenance to be Low Maintenance“ verkauft die Idee, dass man sich nur genug Mühe geben muss, um später weniger Aufwand zu haben. In Wahrheit bedeutet er oft das Gegenteil: einen endlosen Kreislauf aus Terminen, Kosten und Anpassungen an einen Schönheitsstandard, der sich ständig verschiebt.

Wer Freude an aufwendigen Beauty-Ritualen hat und sie sich leisten kann – wunderbar. Aber es ist Zeit, offen zu sagen: Das ist Luxus, kein Muss. Und echte Selbstfürsorge sollte nicht davon abhängen, wie oft man im Monat im Salon sitzt.

Bildquellen

  • Trend “High Maintenance”: iStockphoto.com/ Vladislav Stepanov

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