Die Low-Carb-Falle: Bremst die Diät deinen Stoffwechsel?

Low Carb

Seit Jahren erlebt die Low-Carb-Ernährung einen anhaltenden Boom. Bücher, Blogs und Ernährungscoaches preisen sie als Schlüssel zu besserer Figur, mehr Energie und stabilen Blutzuckerwerten. Wer Kohlenhydrate meidet, so das Versprechen, bringt den Stoffwechsel auf Touren und verbrennt Fett, anstatt es einzulagern. Doch wie gesund ist dieser Trend wirklich? Und kann eine kohlenhydratarme Ernährung den Stoffwechsel auf Dauer verlangsamen? Die Antwort ist komplexer, als viele denken.

Was „Low Carb“ eigentlich bedeutet

Der Begriff „Low Carb“ steht für eine Ernährung, bei der der Anteil der Kohlenhydrate deutlich reduziert wird. Statt Nudeln, Brot, Reis und Süßigkeiten stehen vermehrt Eiweiß und Fett auf dem Speiseplan. Manche Menschen gehen so weit, dass sie nur noch fünf bis zehn Prozent ihrer Kalorien aus Kohlenhydraten beziehen – sie ernähren sich „ketogen“.

Ziel ist es, den Körper in die sogenannte Ketose zu bringen. In diesem Zustand nutzt er Fett anstelle von Glukose als Energiequelle und bildet sogenannte Ketonkörper, die Muskeln und Gehirn mit Energie versorgen. In der Theorie soll das nicht nur beim Abnehmen helfen, sondern auch Entzündungen reduzieren und die Leistungsfähigkeit steigern.

Viele erleben tatsächlich, dass sie in den ersten Wochen rasch Gewicht verlieren und sich energiegeladener fühlen. Doch nach einiger Zeit berichten einige über Erschöpfung, Konzentrationsprobleme oder stagnierende Erfolge. Um zu verstehen, warum das passieren kann, lohnt sich ein Blick auf die Rolle der Kohlenhydrate im Stoffwechsel.

Kohlenhydrate – mehr als nur Zucker

Kohlenhydrate sind für den Körper weit mehr als eine schnelle Energiequelle. Sie liefern Glukose, die vor allem das Gehirn, das Nervensystem und die roten Blutkörperchen benötigen. Auch die Muskeln greifen bei körperlicher Aktivität bevorzugt auf Glukose zurück.

Wichtig ist, zwischen verschiedenen Arten von Kohlenhydraten zu unterscheiden. Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Gemüse und Obst liefern komplexe Kohlenhydrate, die langsam verdaut werden und den Blutzuckerspiegel stabil halten. Weißmehl, Zucker und stark verarbeitete Produkte hingegen verursachen schnelle Blutzuckerspitzen, die bald darauf in ein Energietief münden.

Low-Carb-Diäten setzen darauf, diese Schwankungen zu vermeiden. Indem man die Kohlenhydratzufuhr reduziert, sinkt der Insulinspiegel, was wiederum die Fettverbrennung fördern kann. Doch „weniger“ bedeutet nicht automatisch „besser“. Der Stoffwechsel ist ein fein austariertes System, das auf Balance angewiesen ist.

Wenn zu wenig Kohlenhydrate den Stoffwechsel bremsen

Eine aktuelle Beobachtungsstudie aus Kuwait hat kürzlich für Diskussion gesorgt. Forschende untersuchten dort, wie sich eine kohlenhydratarme Ernährung auf gesunde Erwachsene mit normalem Körpergewicht auswirkt. 120 Personen dokumentierten über sieben Tage ihr Essverhalten und ließen Blutwerte analysieren.

Das Ergebnis war überraschend: Die Teilnehmenden, die weniger als 45 Prozent ihrer Kalorien aus Kohlenhydraten aufnahmen, zeigten höhere Werte für Insulinresistenz und Entzündungsmarker – also Anzeichen dafür, dass der Stoffwechsel nicht optimal arbeitete. Außerdem fanden die Forschenden Hinweise auf eine beginnende Übersäuerung, was sie als Zeichen einer Stoffwechselbelastung interpretierten.

Die Studie war zwar klein und kurz angelegt, dennoch lenkt sie den Blick auf einen wichtigen Punkt: Eine sehr kohlenhydratarme Ernährung kann für manche Menschen nicht die beste Wahl sein, selbst wenn sie auf dem Papier „gesund“ aussieht.

Was im Körper passiert, wenn Kohlenhydrate fehlen

Wer Kohlenhydrate stark einschränkt, zwingt den Körper, Energie aus anderen Quellen zu gewinnen. Zunächst leert er die Glykogenspeicher in Muskeln und Leber – das sind die Reserven an gespeicherter Glukose. Da Glykogen Wasser bindet, gehen in den ersten Tagen mehrere Kilogramm Körpergewicht verloren, meist in Form von Wasser, nicht von Fett.

Nach einigen Tagen passt sich der Körper an: Er wandelt vermehrt Fett in Ketonkörper um und nutzt diese als Energiequelle. Gleichzeitig sinkt der Insulinspiegel, was theoretisch die Fettverbrennung erleichtert. Doch dieser Zustand hat auch Schattenseiten.

Studien zeigen, dass sich bei längerer kohlenhydratarmer Ernährung die Schilddrüsenaktivität verändern kann. Das aktive Hormon Trijodthyronin (T3), das den Energieverbrauch reguliert, sinkt oft leicht ab. Damit verringert sich auch der Grundumsatz – der Körper verbrennt weniger Energie im Ruhezustand. Manche fühlen sich dann antriebslos oder frieren schneller.

Zudem kann ein dauerhafter Mangel an Kohlenhydraten den Cortisolspiegel erhöhen. Dieses Stresshormon sorgt dafür, dass der Körper Glukose aus Eiweiß gewinnt – ein Prozess, der „Gluconeogenese“ genannt wird. Auf Dauer kann das den Stoffwechsel belasten und Entzündungsprozesse fördern.

@dafneseacat CARBS ARE NOT BAD FOR YOUR HEALTH!!! 😊🥯#wellnessjourney #wellnesstips #healthtips #nutritiontips #nutritionfacts ♬ original sound – DafneS

Warum manche mit Low Carb gut klarkommen – und andere nicht

Nicht jeder reagiert gleich auf dieselbe Ernährungsweise. Genetische Unterschiede, Aktivitätsniveau, Hormonhaushalt und sogar die Zusammensetzung der Darmflora spielen eine Rolle dabei, wie gut jemand Kohlenhydrate verwertet.

Menschen mit Insulinresistenz oder Prädiabetes profitieren oft von einer moderaten Reduktion der Kohlenhydrate, weil sich ihre Blutzuckerwerte stabilisieren. Auch wer sehr zu Heißhunger neigt, kann durch weniger Zucker und Stärke ein konstanteres Energiegefühl erleben.

Wer jedoch körperlich sehr aktiv ist, etwa Ausdauersport betreibt oder regelmäßig Krafttraining macht, braucht mehr Kohlenhydrate, um die Energiespeicher aufzufüllen. Zu wenig davon kann die Regeneration behindern und zu einem chronischen Energiemangel führen.

Auch die Qualität der übrigen Ernährung ist entscheidend. Wenn Kohlenhydrate einfach durch große Mengen an tierischem Fett ersetzt werden, kann sich das negativ auf die Blutfettwerte und die Gefäßgesundheit auswirken. Wer dagegen überwiegend pflanzliche Fette und Proteine wählt – etwa aus Nüssen, Hülsenfrüchten, Avocado und Olivenöl – unterstützt den Stoffwechsel langfristig.

Der Mythos vom „eingeschlafenen“ Stoffwechsel

Viele, die längere Zeit Low Carb oder sehr kalorienreduziert essen, berichten, dass sie irgendwann nicht mehr abnehmen – obwohl sie kaum essen. Häufig wird dann gesagt, der Stoffwechsel sei „eingeschlafen“.

In Wahrheit handelt es sich um eine Anpassungsreaktion. Wenn der Körper über längere Zeit weniger Energie erhält, senkt er den Energieverbrauch, um Ressourcen zu sparen. Dieser Mechanismus ist evolutionär sinnvoll: Er schützt vor dem Verhungern.

Ein solcher „Sparmodus“ kann sich in Müdigkeit, Kälteempfindlichkeit, hormonellen Veränderungen und stagnierendem Gewichtsverlust äußern. Er ist kein endgültiger Schaden, aber ein Zeichen dafür, dass der Körper wieder mehr Energie und Abwechslung braucht.

Gerade bei sehr kohlenhydratarmen Diäten kann das passieren, wenn zusätzlich zu wenig Kalorien aufgenommen werden. Der Körper bekommt das Signal, auf Sparflamme zu schalten – und genau das wirkt dann wie eine Stoffwechselverlangsamung.

Low Carb mit Maß und Verstand

Low Carb ist kein Allheilmittel, aber auch kein Risiko, wenn es klug umgesetzt wird. Zahlreiche Studien zeigen, dass eine moderate Reduktion der Kohlenhydrate helfen kann, Gewicht zu regulieren, Blutzucker zu stabilisieren und Entzündungen zu verringern. Entscheidend ist die Qualität der Lebensmittel und die individuelle Anpassung.

Wer sich kohlenhydratärmer ernähren möchte, sollte nicht nur an die Makronährstoffe denken, sondern auch an Mikronährstoffe, Ballaststoffe und pflanzliche Vielfalt. Eine bunte Auswahl an Gemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen ist essenziell, um den Stoffwechsel mit Vitaminen, Mineralstoffen und Antioxidantien zu versorgen.

Ebenso wichtig ist es, extreme Ansätze zu vermeiden. Eine moderate Low-Carb-Ernährung – etwa 30 bis 40 Prozent der Kalorien aus Kohlenhydraten – ist in der Regel ausreichend, um gesundheitliche Vorteile zu erzielen, ohne den Körper in dauerhaften Stress zu versetzen.

Gelegentliche „Refeed-Tage“, an denen bewusst mehr gesunde Kohlenhydrate gegessen werden, können helfen, den Stoffwechsel aktiv zu halten. So wird dem Körper signalisiert, dass genügend Energie zur Verfügung steht, was wiederum die Schilddrüsenaktivität unterstützt.

@ravmalik Slow carbs vs fast carbs impact your health differently #cravings #health #sugar #hormones #fyp ♬ original sound – Rav Malik

Das große Ganze zählt

Ob eine Low-Carb-Ernährung den Stoffwechsel bremst oder fördert, hängt letztlich nicht nur von der Menge der Kohlenhydrate ab. Bewegung, Schlaf, Stress, hormonelle Faktoren und Umweltbelastungen spielen ebenso eine Rolle. Auch der soziale Kontext ist wichtig: Wer sich durch eine strenge Ernährungsregel dauerhaft eingeschränkt fühlt, riskiert auf lange Sicht Frust und ungesunde Essmuster.

In der funktionellen Ernährungsmedizin betrachtet man deshalb immer den gesamten Lebensstil. Entscheidend ist, ob die Ernährung zu deinem Alltag, deinem Energiebedarf und deiner psychischen Belastung passt. Eine Ernährung, die Stress verursacht, kann langfristig kaum gesund wirken – egal, wie perfekt sie auf dem Papier aussieht.

Bildquellen

  • Low Carb: iStockphoto.com / petrenkod

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