Psychische Gesundheit bei Männern war lange ein blinder Fleck in der öffentlichen Wahrnehmung. Doch das Schweigen bröckelt – langsam, aber spürbar. Immer mehr Männer, darunter auch Prominente und Influencer, stellen sich gegen überholte Rollenbilder und sprechen offen über Depressionen, Burn-out oder Ängste. Der Trend zur Aufklärung wächst – und mit ihm der Mut, sich verletzlich zu zeigen. Auch in Österreich gewinnt die Bewegung an Kraft: Ein Unternehmer setzte ein starkes Zeichen, indem er zu Fuß die Alpen überquerte – für die psychische Gesundheit von Männern.
Ein verdrängtes Thema
Jahrelang war es ein Thema, über das kaum gesprochen wurde: die psychische Gesundheit von Männern. In Statistiken war das Leiden sichtbar – aber in der Öffentlichkeit unsichtbar. Männer gelten vielfach noch immer als „funktional“, stark, kontrolliert. Gefühle wie Angst, Überforderung oder tiefe Erschöpfung passen nicht in dieses Bild.
Dabei zeigen Zahlen deutlich: Männer sind ebenso – wenn nicht sogar stärker – von psychischen Erkrankungen betroffen wie Frauen. Sie nehmen aber deutlich seltener professionelle Hilfe in Anspruch.
Laut einer Erhebung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) begehen Männer in Europa dreimal häufiger Suizid als Frauen. In Österreich ist etwa jeder vierte Mann im Lauf seines Lebens von einer psychischen Erkrankung betroffen. Dennoch suchen Männer im Vergleich seltener psychologische oder psychiatrische Hilfe auf. Der Grund: Scham, Unsicherheit und tief verankerte Rollenbilder.
Rollenklischees und emotionale Tabus
Die Erziehung vieler Jungen folgt bis heute einem bekannten Muster: Sei stark. Weine nicht. Reiß dich zusammen. Diese Botschaften werden oft nicht offen ausgesprochen, aber implizit vermittelt – durch Vorbilder, Medienbilder, das soziale Umfeld. Wer sich in einer Gesellschaft bewähren will, in der Leistung, Kontrolle und Stärke hoch im Kurs stehen, hat es schwer, Schwäche zu zeigen.
Psycholog:innen sprechen hier von „toxischer Männlichkeit“ – einem Begriff, der nicht Männer an sich kritisiert, sondern jene einengenden Normen, die Männern emotionale Offenheit erschweren. Es geht nicht darum, Männlichkeit abzuwerten, sondern sie zu erweitern: um Menschlichkeit, Verletzlichkeit, Empathie.
Der Wandel beginnt: Männer sprechen öffentlich
In den letzten Jahren hat sich etwas verändert. Immer mehr Männer beginnen, sich zu öffnen – in Interviews, Podcasts, auf Social Media oder im Freundeskreis. Sie sprechen über Therapien, Ängste, Burn-out. Prominente wie der deutsche Moderator Joko Winterscheidt, der britische Prinz Harry oder Fußballtrainer Jürgen Klopp haben öffentlich über mentale Krisen gesprochen. Ihr Beispiel hat Vorbildcharakter – besonders für Männer, die sich bislang nicht trauten, ähnliche Erfahrungen zu äußern.
Auch auf Plattformen wie Instagram, TikTok oder YouTube entstehen immer mehr Kanäle, die sich der Männergesundheit widmen. Hier geht es um Themen wie Selbstwert, Körperbild, Vaterschaft, Depression – aber auch um ganz praktische Fragen: Wie finde ich einen Therapeuten? Wie beginne ich ein Gespräch über meine Probleme?
In unserem Video spricht Schauspieler und Podcaster Max Ortner über seinen Weg in die Essstörung und wie ihn Panikattacken jahrelang begleitet haben.
Bewegungen wie „Movember“ sorgen für Sichtbarkeit
Ein wichtiger Treiber dieser Entwicklung ist die internationale Bewegung Movember, die sich seit 2003 für Männergesundheit einsetzt – körperlich wie psychisch. Jedes Jahr im November lassen sich weltweit Millionen Männer Schnurrbärte wachsen, um auf Themen wie Prostata- und Hodenkrebs sowie psychische Gesundheit aufmerksam zu machen.
Was als lustige Aktion begann, hat sich zu einer ernsthaften Aufklärungskampagne entwickelt. Movember sammelt Spenden, finanziert Studien und organisiert Präventionsprojekte. Im Zentrum steht dabei immer wieder dieselbe Botschaft: Männer dürfen (und sollen) über ihre psychischen Belastungen sprechen.
Eine Alpenüberquerung für die Männerpsyche
Auch in Österreich gibt es zunehmend Männer, die mit gutem Beispiel vorangehen. Einer von ihnen ist Ferdinand Schönburg-Hartenstein, Unternehmer, Familienvater und Start-up-Gründer. Im Sommer 2025 machte er mit einer besonderen Aktion auf das Thema aufmerksam: einer siebentägigen Alpenüberquerung von Gmund am Tegernsee bis nach Sterzing in Südtirol.
140 Kilometer und fast 5.000 Höhenmeter legte Schönburg zu Fuß zurück. Nicht aus sportlichem Ehrgeiz, sondern als bewusste Geste – gegen das Schweigen und für mehr Bewusstsein für psychische Gesundheit bei Männern. Unter dem Titel „Alpenüberquerung 4 Mental Health“ verband er die körperliche Herausforderung mit einer Spendenaktion für Movember.
„Wenn Männer leiden, geschieht das oft leise und im Verborgenen“, sagte Schönburg in einem Interview mit dem Kurier. „Wir haben heute immer noch ein Mannbild, das vorgibt, dass wir stark sein müssen, dass wir funktionieren müssen, dass wir strukturiert sein müssen, und da ist sehr wenig Platz für Gefühle wie Angst, Hilfsbedürftigkeit.“
Auch in Österreich sind Männer betroffen
Während seiner Wanderung sprach der Unternehmer mit vielen Menschen – auf Hütten, unterwegs, über soziale Medien. Die Reaktionen zeigten ihm: Das Thema trifft einen Nerv. Viele Männer berichteten ihm von eigenen Krisen oder Freunden, die Hilfe bräuchten, sich aber nicht trauten. Besonders auffällig: Die meisten Rückmeldungen erhielt er von Frauen, die sich um Männer in ihrem Umfeld sorgten.
Schönburg will mit seiner Aktion nicht nur Geld sammeln – sein Ziel sind 100.000 Euro – sondern vor allem ein Gespräch eröffnen. „Es ist essentiell, dass wir über Probleme und Traumata sprechen – und das so früh wie möglich“, sagt er.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Öffentliche Debatte in Bewegung
Aktionen wie diese reihen sich ein in eine wachsende gesellschaftliche Debatte. Auch Institutionen und Medien beginnen, das Thema Männerpsyche differenzierter zu behandeln. Schulen, Jugendzentren und Betriebe starten erste Aufklärungsprogramme, Psychotherapieangebote richten sich explizit an Männer. Fachleute fordern, Therapieangebote männlichkeitsbewusster zu gestalten – ohne Druck, ohne Klischees.
Zugleich braucht es einen kulturellen Wandel. Gefühle zu zeigen darf nicht länger als Schwäche gelten – sondern als Zeichen von Reife und Stärke. Dazu gehört auch, über Scheitern, Sinnfragen, Überforderung zu sprechen. Besonders Männer in Führungspositionen können hier Vorbilder sein.
Was jede:r tun kann
Der Wandel hin zu mehr Offenheit beginnt im Kleinen – in Gesprächen unter Freund:innen, in Familien, in Unternehmen. Wer aufmerksam zuhört, Fragen stellt und selbst ehrlich ist, kann einen Raum schaffen, in dem sich auch Männer öffnen. Wichtig ist, das Schweigen nicht mit Gleichgültigkeit zu verwechseln. Viele Männer leiden nicht, weil sie nicht fühlen – sondern weil sie glauben, niemanden zu haben, dem sie sich anvertrauen können.
Auch das Enttabuisieren professioneller Hilfe ist zentral. Eine Therapie in Anspruch zu nehmen, sollte genauso selbstverständlich sein wie ein Arztbesuch bei körperlichen Beschwerden. Dafür braucht es Information, Vorbilder und vor allem: ein gesellschaftliches Klima, das Emotionen nicht abwertet.
Hilfsangebote in Österreich:
- Männernotruf: 0800 246 247
- Sozialpsychiatrischer Notdienst: 01 31 330
- Telefonseelsorge: 142
- Kriseninterventionszentrum: 01 406 95 95
Bildquellen
- Ein Mann überquert die Alpen: iStockphoto.com/ mahiruysal

