In zwei Tagen steht deine Prüfung an, der Schlaf kam in letzter Zeit zu kurz – und trotz stundenlangen Lernens fühlst du dich alles andere als vorbereitet. Auf der Suche nach einem Ausweg scrollst du durch Social Media, stößt auf Erfahrungsberichte und Empfehlungen – und landest schließlich bei Nootropika: Kapseln, Pulver oder Tropfen, die angeblich die mentale Leistung steigern, Konzentration fördern und geistige Erschöpfung reduzieren. Ganz ohne Nebenwirkungen, versprechen die Hersteller. Wirken diese Mittel wirklich – oder handelt es sich um clever vermarktete Placebos?
Die Sehnsucht nach mentaler Leistungsfähigkeit
Ob im Berufsleben, beim Studium oder im Alltag – geistige Fitness ist eine Ressource, die zunehmend gefragt ist. Gleichzeitig wächst die Sorge um den kognitiven Abbau im Alter. Die Vorstellung, diesen Prozessen mit einer Kapsel entgegenwirken zu können, ist verständlich – und aus Marketingsicht ideal. Anbieter locken mit Begriffen wie „Neuro-Enhancer“, „Cognitive Support“, „Focus Formula“ oder „Nootropika“ und suggerieren wissenschaftlich fundierte Wirkung.
Was früher ein Randphänomen war, ist heute ein boomender Markt: Allein im Jahr 2023 gaben Verbraucher weltweit über fünf Milliarden US-Dollar für Supplements zur kognitiven Unterstützung aus. Besonders online und in der Selbstoptimierungs-Community werden Nootropika gefeiert – als vermeintlich sichere Abkürzung zu mehr Leistung.
Doch wie solide ist die Studienlage wirklich? Und welche Substanzen stehen im Mittelpunkt dieser Entwicklung?
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Was in Gehirnboostern steckt
Viele Präparate enthalten eine Kombination aus Vitaminen, Mineralstoffen, pflanzlichen Extrakten und manchmal auch synthetischen Substanzen – sogenannte Nootropika. Hier ein Überblick über die gängigsten Inhaltsstoffe und ihre potenzielle Wirkung:
Omega-3-Fettsäuren (DHA und EPA)
Omega-3-Fettsäuren gehören zu den sogenannten „gesunden Fetten“. Besonders wichtig für das Gehirn sind die Varianten DHA und EPA, die vor allem in fettreichen Fischen wie Lachs oder Makrele vorkommen. Studien zeigen, dass diese Fette eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Gesunderhaltung des Gehirns spielen. Menschen, die regelmäßig Fisch essen, scheinen seltener an Demenz zu erkranken.
Ob Nahrungsergänzungsmittel mit Omega-3 die gleiche Wirkung haben wie Fisch auf dem Teller, ist allerdings noch unklar. Zwar erlaubt die Europäische Lebensmittelbehörde bestimmte gesundheitsbezogene Aussagen, doch ein klarer Beweis für eine direkte Verbesserung der Gehirnleistung durch Omega-3-Kapseln fehlt bisher.
B-Vitamine (vor allem B6, B9 und B12)
Diese Vitamine helfen dem Körper dabei, einen bestimmten Stoff namens Homocystein abzubauen. Zu viel Homocystein im Blut wird mit geistigem Abbau in Verbindung gebracht. Einige Studien zeigen, dass ältere Menschen mit einem Mangel an Vitamin B12 von einer Ergänzung profitieren können. Bei gesunden Menschen mit guter Versorgung bringt eine zusätzliche Einnahme dagegen kaum nachweisbare Vorteile.
In den meisten Fällen reicht eine ausgewogene Ernährung aus, um genug B-Vitamine aufzunehmen. Nur bei bestimmten Gruppen – etwa bei vegan lebenden Menschen oder Personen mit Verdauungsproblemen – kann eine gezielte Ergänzung sinnvoll sein.
Ginkgo biloba
Ginkgo ist ein Pflanzenextrakt, der vor allem in der traditionellen chinesischen Medizin lange verwendet wurde. Er soll die Durchblutung fördern und als Antioxidans wirken – also Zellen vor Schäden schützen. Trotz intensiver Forschung konnte bisher aber nicht eindeutig nachgewiesen werden, dass Ginkgo tatsächlich das Gedächtnis verbessert oder Demenz vorbeugt.
Eine große Studie mit über 3.000 Teilnehmer:innen zeigte keinen klaren Nutzen. Zudem kann Ginkgo Wechselwirkungen mit Medikamenten haben – zum Beispiel mit Blutverdünnern.
Vitamin E
Vitamin E ist ein fettlösliches Vitamin, das als natürlicher Zellschutz wirkt. Es schützt das Gehirn vor sogenannten „freien Radikalen“, die unter anderem mit Alterungsprozessen und Krankheiten wie Alzheimer in Verbindung stehen. Manche Studien deuten darauf hin, dass Vitamin E den geistigen Abbau bei bestimmten Demenzformen leicht bremsen kann.
Doch Vorsicht: Hohe Dosen über einen längeren Zeitraum könnten sogar schaden. Einige Untersuchungen weisen auf ein leicht erhöhtes Sterberisiko bei dauerhaft hoher Einnahme hin. Die beste Versorgung bietet daher eine ausgewogene Ernährung – mit pflanzlichen Ölen, Nüssen und grünem Gemüse.
Koffein, L-Theanin, Rhodiola & Lion’s Mane
Viele moderne Gehirnbooster enthalten bekannte Wirkstoffe wie Koffein – oft kombiniert mit beruhigenden Stoffen wie L-Theanin, das etwa im grünen Tee vorkommt. Diese Mischung kann kurzfristig wacher machen und die Konzentration verbessern, wie auch Studien bestätigen.
Pflanzliche Stoffe wie Rhodiola (Rosenwurz) oder sogenannte „Medizinalpilze“ wie der Igelstachelbart (Lion’s Mane) werden für ihre beruhigende und angeblich nervenstärkende Wirkung beworben. In der Welt der pflanzlichen Nootropika gelten sie als besonders interessant. Erste Labordaten sind vielversprechend, aber große, unabhängige Studien am Menschen fehlen bislang.
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Selbstversuch mit Fragezeichen
Viele Menschen berichten subjektiv von einer verbesserten Leistungsfähigkeit durch die Einnahme von Nootropika. Doch wie viel davon ist tatsächliche Wirkung – und wie viel ist Placebo?
Das menschliche Gehirn reagiert sensibel auf Erwartungshaltungen. Wer glaubt, dass ein Produkt die Konzentration steigert, wird in bestimmten Situationen tatsächlich wacher und motivierter agieren – zumindest kurzfristig. Dieser Placeboeffekt ist real, aber nicht verlässlich.
Hinzu kommt: Wer beginnt, solche Produkte einzunehmen, achtet oft gleichzeitig auf Schlaf, Ernährung und Bewegung. Die beobachtete Verbesserung könnte also auch auf eine Kombination dieser Faktoren zurückzuführen sein.
Die rechtliche Grauzone
In Österreich gelten Nahrungsergänzungsmittel rechtlich als Lebensmittel. Das bedeutet: Sie müssen sicher sein, dürfen aber keine arzneiliche Wirkung haben. Eine behördliche Zulassung – wie sie für Medikamente erforderlich ist – gibt es nicht. Stattdessen müssen Hersteller ihre Produkte lediglich beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (AGES) melden. Für die Qualität und Sicherheit sind sie jedoch selbst verantwortlich.
Diese vergleichsweise lockeren Vorgaben lassen Raum für Probleme: Schwankende Dosierungen, fehlende Wirksamkeitsnachweise und irreführende Werbeversprechen sind keine Seltenheit. Immer wieder werden bei stichprobenartigen Kontrollen Produkte entdeckt, die falsch deklariert oder mit verbotenen Substanzen verunreinigt sind. Besonders bei Nahrungsergänzungsmitteln, die aus dem Internet bestellt werden – etwa aus den USA oder Asien – ist das Risiko höher.
Was wirklich wirkt: Die Rolle des Lebensstils
Zwar gibt es (noch) keine magische Pille für die geistige Leistungsfähigkeit. Doch die Forschung ist sich in einem Punkt einig: Ein gesunder Lebensstil hat messbaren Einfluss auf das Gehirn – und das deutlich nachhaltiger als jede Form von Nootropika.
Ernährung
Studien zur mediterranen oder pflanzenbasierten Ernährung zeigen: Eine abwechslungsreiche Kost mit viel Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten, Fisch und hochwertigen Pflanzenölen unterstützt nicht nur Herz und Kreislauf, sondern wirkt sich auch positiv auf kognitive Fähigkeiten aus. Antioxidantien, sekundäre Pflanzenstoffe und Omega-3-Fettsäuren entfalten hier ihre Wirkung im natürlichen Zusammenspiel.
Bewegung
Regelmäßige körperliche Aktivität – bereits ab 150 Minuten pro Woche – fördert die Durchblutung des Gehirns, regt die Bildung neuer Nervenzellen an und verbessert nachweislich das Gedächtnis. Bewegung ist eines der wenigen „Gehirnmedikamente“, deren Wirkung wissenschaftlich gut belegt ist.
Schlaf
Während wir schlafen, sortiert das Gehirn Informationen, repariert Zellen und speichert Erinnerungen. Chronischer Schlafmangel beeinträchtigt Denkprozesse erheblich. Eine gute Schlafhygiene ist daher eine Voraussetzung für geistige Leistungsfähigkeit.
Kognitive Stimulation
Geistige Aktivität – in Form von Lesen, Musizieren, dem Erlernen neuer Fähigkeiten oder sozialen Interaktionen – hält das Gehirn flexibel. Wer sich im Alltag geistig fordert, aktiviert neuroplastische Prozesse, die mit besserer Gedächtnisleistung und langsameren Abbauprozessen assoziiert sind.
Kein Ersatz für Lebensstil – aber manchmal eine Ergänzung
Nootropika in Form von Nahrungsergänzungsmitteln sind kein Wundermittel. Die Studienlage ist dünn, der Nutzen für gesunde Menschen fraglich. In Ausnahmefällen – etwa bei Mangel oder hoher geistiger Belastung – kann eine gezielte Einnahme sinnvoll sein. Entscheidend ist aber: Wer langfristig geistig fit bleiben will, braucht keine Kapseln, sondern Schlaf, Bewegung, ausgewogene Ernährung und mentale Herausforderungen. Die beste Gehirnleistung kommt nicht aus dem Labor – sondern aus dem Alltag.
Bildquellen
- Nootropika für die Gehirnfunktion: iStockphoto.com/ Artur Didyk

