Zeckenbiss als Wirkstoff: Können Blutsauger Entzündungen lindern?

Von gefährlichen Krankheitsüberträgern zu Hoffnungsträgern in der Therapie – warum Zecken plötzlich die Aufmerksamkeit der medizinischen Forschung gewinnen.

Ein Spaziergang durch den Wald, ein paar Stunden im Garten – und schon hat man sich einen ungebetenen Gast eingefangen: die Zecke. Die kleinen Spinnentiere genießen alles andere als einen guten Ruf. Zu Recht, denn sie übertragen gefährliche Krankheiten wie Borreliose oder die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Doch ausgerechnet diese winzigen Blutsauger sorgen nun für große Aufregung in der medizinischen Forschung.

Zeckenspeichel – mehr als nur Krankheitsüberträger

Eine neue Studie der Medizinischen Universität Wien, veröffentlicht in der renommierten Fachzeitschrift Frontiers in Immunology, bringt es auf den Punkt: Zeckenspeichel ist mehr als nur ein Übertragungsvehikel für Krankheitserreger. Er ist eine molekulare Schatzkammer voller bioaktiver Stoffe, die in Zukunft das Potenzial haben könnten, Entzündungen zu lindern, Autoimmunreaktionen zu dämpfen – und sogar neue Medikamente zu inspirieren.

Biochemische Tricks eines Blutsaugers

„Bereits Sekunden nach einem Zeckenstich gibt das Tier seinen Speichel in die Haut des Wirts ab,“ erklärt Dr. Johanna Strobl von der Universitätsklinik für Dermatologie der MedUni Wien. „enthaltene bioaktive Moleküle bewirken eine Erweiterung der Blutgefäße, hemmen die Blutgerinnung und unterdrücken Entzündungsreaktionen. Dadurch wird nicht nur die Immunabwehr des Wirts geschwächt, so dass Zecken länger anhaften können, sondern auch die Wahrscheinlichkeit einer Infektion durch Erreger erhöht.“

Die Natur hat es den Zecken ermöglicht, unbemerkt und über Stunden – manchmal sogar Tage – Blut zu saugen. Dazu muss der Parasit einige Hindernisse überwinden: Die Haut des Wirts wehrt sich gegen den Eindringling, sendet Entzündungsbotenstoffe aus, beginnt mit der Blutgerinnung, aktiviert Immunzellen.

Und genau hier greift der Zeckenspeichel ein. Er hemmt die Gerinnung, erweitert Blutgefäße und unterdrückt die Entzündungsreaktion – wie ein „biologischer Tarnanzug“, der die Zecke für die Abwehrkräfte des Körpers unsichtbar macht.

ZeckenspeichelQuelle: © 2025 Kleissl, Weninger, Winkler, Ruivo, Wijnveld and Strobl

Von der Natur lernen: Neue Therapien gegen Entzündungen

Gerade diese entzündungshemmenden Eigenschaften machen Zeckenspeichel für die Medizin interessant. Bei vielen chronischen Erkrankungen wie Psoriasis (Schuppenflechte), Neurodermitis oder systemischem Lupus ist das Immunsystem überaktiv und greift körpereigenes Gewebe an. Herkömmliche Medikamente dämpfen das Immunsystem oft auf breiter Basis – mit zum Teil erheblichen Nebenwirkungen.

Zeckenspeichel hingegen wirkt laut dem Forschungsteam der Uni Wien viel gezielter. Einige Proteine darin hemmen ganz spezifische Signalwege, die bei Entzündungen eine Rolle spielen. Das eröffnet die Möglichkeit, neue Wirkstoffe zu entwickeln, die effektiver und zugleich verträglicher sind.

Besonders im Fokus der Forschung stehen dabei sogenannte Proteaseinhibitoren – Moleküle, die Enzyme blockieren, die bei Entzündungsprozessen aktiv werden. Erste Labortests und Tierversuche zeigen bereits vielversprechende Ergebnisse. In einigen Fällen konnten Entzündungen deutlich reduziert werden – ohne die generelle Abwehrkraft des Körpers zu schwächen.

Impfen gegen den Stich

Doch nicht nur in der Therapie tut sich etwas. Parallel wird an einer ganz anderen, ebenso visionären Idee gearbeitet: einer Impfung gegen Zecken selbst. Klingt wie Science-Fiction, ist aber greifbare Realität.

Die Forscher:innen wissen mittlerweile, dass der Speichel einer Zecke eine ganze Palette an Proteinen enthält, die das Immunsystem manipulieren. Wenn man gezielt gegen einige dieser Schlüsselproteine impft, kann der Körper schneller und heftiger auf einen Zeckenstich reagieren. Das kann dazu führen, dass die Zecke gar nicht erst Blut saugen kann – oder dabei so gestört wird, dass sie keine Krankheitserreger mehr überträgt.

In Tiermodellen wurde diese Strategie bereits erfolgreich getestet: Geimpfte Tiere zeigten eine stärkere Immunantwort an der Bissstelle, die Zecken ließen schneller ab, und die Übertragung von Borrelien – dem Erreger der Lyme-Borreliose – wurde deutlich reduziert.

Ein Impfstoff, der Menschen vor Zecken schützt, könnte nicht nur das individuelle Risiko senken, sondern auch die Verbreitung zeckenübertragener Krankheiten auf Bevölkerungsebene eindämmen.

Die HPV-Impfung wurde ausgeweitet: Bisher konnte man sich bis zum Alter von 21 Jahren kostenlos impfen lassen, jetzt bis zum 30.Lebensjahr.Quelle: Jacob Wackerhausen/ istock
Forscher:innen arbeiten an einer Impfung gegen Zecken – sie soll Stiche verhindern und die Übertragung gefährlicher Erreger stoppen

Klimawandel als Turbo für Zecken

Die Forschung kommt zur rechten Zeit. Denn der Klimawandel sorgt dafür, dass sich Zecken in Europa – und weltweit – immer weiter ausbreiten. Milder Winter, feuchtere Frühjahre und verlängerte Vegetationsperioden schaffen ideale Bedingungen für die Blutsauger. Zeckenarten, die früher nur in Südeuropa vorkamen, sind inzwischen auch in Deutschland und Österreich heimisch geworden.

Mit der Ausbreitung der Zecken steigt auch die Gefahr neuer Krankheiten. FSME ist nur eine davon – immer häufiger werden auch exotische Erreger wie das Krim-Kongo-Fieber oder Rickettsien diagnostiziert. Die medizinische Forschung steht daher unter Zugzwang, neue Strategien zur Prävention und Therapie zu entwickeln.

Hightech trifft Natur: Die Zukunft der Zeckenforschung

Um dem Geheimnis des Zeckenspeichels weiter auf die Spur zu kommen, setzen Forscher:innen auf modernste Technologien. Mit Methoden wie Proteomik – einer Art „Inventur“ aller Eiweiße – und maschinellem Lernen werden Tausende Speichelmoleküle analysiert, klassifiziert und auf ihre Wirkung getestet. Künstliche Intelligenz hilft dabei, vielversprechende Kandidaten für die Medikamentenentwicklung schneller zu identifizieren.

Vom Parasiten zum Patientenhelfer

Was heute noch widersprüchlich klingt, könnte bald Realität sein. Zecken, einst nur als Krankheitsüberträger gefürchtet, könnten helfen, chronische Entzündungen zu bekämpfen. Sie liefern mehr als nur lästige Stiche – etwa als Basis für Impfstoffe, neue Medikamente oder gezielte Immuntherapien. Sie liefern Ideen für die Medizin von morgen.

Bildquellen

  • Bildschirmfoto 2025-05-28 um 10.12.51: © 2025 Kleissl, Weninger, Winkler, Ruivo, Wijnveld and Strobl
  • HPV-Impfung: Jacob Wackerhausen/ istock
  • Zecken: kmatija / istock

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