Liebe im Job: Tabu oder unterschätzter Karriere-Booster?

Liebe im Job

Es gibt zahlreiche Themen, über die wir nur ungern sprechen – psychische Belastungen, familiäre Konflikte oder finanzielle Sorgen. Auch die Liebe im Job gehört zu diesen Tabus. Doch ob wir darüber schweigen oder offen reden: Liebe ist existenziell, betont Sexualtherapeutin und Autorin Nancy Hanisch in ihrem neuen Buch „Karrierefaktor Sex“. Aber was würde sich eigentlich verändern, wenn wir diesem Thema mit echter Offenheit begegneten?

Das „unverschämte Glück“

Auf die Frage, ob es in ihrer eigenen Karriere Momente gab, die sie zum Thema inspirierten, reagiert Nancy Hanisch bemerkenswert offen. „Unzählige; eigene, fremde, bekannte, vertraute, entfernte“ Erfahrungen hätten sie geprägt. „Sie tragen immer ein gleiches Gewand: das unverschämte Glück, so etwas Schönes erleben zu dürfen und die Brutalität der Erkenntnis, was daraus im schlimmsten Fall folgen könnte.“

Hier zeigt sich, wie tief das Thema reicht. Und gerade weil unsere Arbeitswelt sich rasant verändert„immer mehr Menschen mindestens seelisch an ihrem Arbeitsplatz erkranken und wir uns in tauber Einsamkeit quälen“ braucht es laut Hanisch dringend einen sicheren Raum, um diese Realität zu besprechen.

Warum wir uns im Job vor unseren Gefühlen fürchten

Trotz der Tatsache, dass fast jeder jemanden kennt, der sich am Arbeitsplatz verliebt hat, bleibt das Thema Liebe im Job tabu. Warum? „Wir haben keine Orientierungen, keine Leitplanken“, erklärt Hanisch.

Wenn Anziehung ins Spiel kommt, geht es plötzlich nicht mehr nur um Skills, Expertise oder Leistung. „Jetzt wird sichtbar, was oft so gut kaschiert werden kann: wie wir wirklich zueinander stehen.“ Und in Teams, die sich gern professionell kühl geben, wird plötzlich erkennbar, wie tragend oder wie brüchig zwischenmenschliche Verbindungen wirklich sind.

Kurz gesagt: Gefühle enthüllen die Wahrheit über ein System, das sich lieber neutral geben würde.

Warum gerade der Job zum perfekten Nährboden für Anziehung wird

„Wir verbringen die meiste freie, wache Zeit im Kontext Beruf“, sagt Hanisch. Dass sich da Funken entzünden, sollte niemanden überraschen. Dazu kommt geteiltes Wissen: Menschen aus demselben Arbeitsfeld verstehen einander oft intuitiv – Deadlines, Stress, Herausforderungen, Fehlschläge. „Das schweißt zusammen, Gemeinsamkeiten verbinden.“

Moderne Kommunikationstechnologien verstärken dieses Band zusätzlich. Slack-Nachrichten um 22 Uhr, Teams-Calls am Morgen, das Smartphone, das ständig vibriert. Grenzen von Beruf zu Privat verschwimmen. „Es ist ein fließender Übergang, jemanden mit in meine Räume zu nehmen.“

Der Arbeitsplatz – oder das Homeoffice – wird damit zum Raum, der Nähe fördert und Intimität erleichtert. Und manchmal eben auch Liebe.

Job Büro
Wir verbringen mehr Zeit mit Kolleg:innen als mit unseren Freunden oder Lebenspartner:innen. ©iStockphoto.com/nd3000

Macht, Geschlecht und Vorurteile

Ein besonders spannender und provokanter Teil ihrer Analyse richtet sich auf Machtverhältnisse. Hanisch formuliert darin einen Satz, der bewusst irritieren soll: „Frauen schlafen sich hoch und Männer runter.“

Sie sagt das nicht, um zu provozieren, sondern um ein echtes strukturelles Problem zu beschreiben. In vielen Führungspositionen sitzen noch immer überwiegend Männer. Wenn sich eine Frau auf einen ranghöheren Mann einlässt, wird ihr schnell jede eigene Leistung abgesprochen. Selbst wenn eine Beförderung völlig verdient wäre, heißt es dann oft: „Sie hat sich diese nie mehr erarbeitet, sondern nur noch erschlafen.“

Bei Männern hingegen gilt eine Affäre oder Beziehung im beruflichen Kontext nicht selten als Statussymbol. Und sie würde laut Hanisch geradezu die Führungsrolle stärken.

Die Folge: „Ein Machtgefälle und mein Geschlecht entscheiden, wie mein beruflicher Aufstieg, mein beruflicher Erfolg gewertet wird.“

Wenn Liebe die Teamleistung fördert

Doch Hanisch belässt es nicht bei Risiken und Problemen. Sie spricht auch über die unglaubliche Kraft, die aus Anziehung und Verliebtheit entstehen kann. „Das Gefühl, gesehen, begehrt zu werden, verliebt zu sein, verleiht uns förmlich Superkräfte.“ Menschen seien dann vitaler, mutiger, kreativer, leistungsfähiger.

Wenn Teams offen genug sind, über Liebe im Job zu sprechen, könne diese Energie sogar produktiv genutzt werden.

Gefühle sichtbar machen

Es gehe Hanisch nicht darum, am Arbeitsplatz in emotionalen Extremen zu schwelgen, sondern darum, dass Gefühle zumindest sichtbar sein dürfen. „Dass ich sagen darf, dass es mir gerade unfassbar gut geht. Dass ich mich ein wenig in leisere Aufgaben zurückziehen kann, wenn meine Welt es gerade nicht anders zulässt.“

In einer Zeit, in der Unternehmen von „Nutzbarmachung von Talenten“ sprechen, erinnert Hanisch daran, dass Talente auf Emotionen beruhen: Leidenschaft, Mut, Neugier, Verletzlichkeit – und ja, Liebe auch.

Weniger Tabu, mehr Dialog

Wie aber lässt sich eine Kultur schaffen, die Intimität weder verdammt noch ausnutzt? „Der Schlüssel liegt in der Authentizität“, sagt die Psychotherapeutin. Und zwar zuerst bei jedem Einzelnen: Was fühle ich? Warum? Wie würde es mir an der Stelle des anderen gehen?

„Und dann geht es um den nächsten Step up: das wirkliche ‘miteinander in den Dialog gehen’. Das ist derMoment, an dem ich gerne von außen begleitend arbeite, weil wir alleine aus Sicherheit und Schutz doch zuschnell versucht sind, uns hinter Fassaden und Oberflächlichkeiten zu verbergen“, so die Expertin.

Was, wenn zwei Mitarbeitende ein Paar werden?

„Führungskräfte sind nicht außen vor, sondern mitten drin,“ beschreibt Hanisch. Und sie haben eine wichtige Aufgabe: „ins menschliche Gespräch zu gehen, für Klarheit und dann für Transparenz zu sorgen und Stabilität zu wahren. Dazu zählt auch, in alle Richtungen klar zu benennen, was akzeptiert ist und was nicht und mit welchen Konsequenzen.“

Homeoffice und das Gefühl der Einsamkeit

Nirgends zeigt sich der Wandel so drastisch wie im Remote- oder Hybrid-Arbeitsmodell. Unsere Arbeit zieht in unsere privaten Räume ein: an den Küchentisch, ins Schlafzimmer, berührt unser Bett genauso wie den ersten Kaffee am Morgen und den Übergang in die Nacht“, beschreibt Hanisch. Kolleg:innen liegen – rein digital – plötzlich mit uns im Bett. Das klingt zunächst humorvoll, ist aber ein ernstes Spiegelbild der modernen Arbeitswelt.

Remote-Arbeit sorge laut der Psychotherapeutin aber auch dafür, „dass Einsamkeit und Isolation neue Gesichter bekommen, dass ein grünes Skype- Signal nicht nur signalisiert, dass ich anwesend bin, sondern auch den Ruf nach Gesehen-werden in sich trägt, der uns dann im Präsenz immer schwerer fällt, selbst auszurufen.“

Home Office
Homeoffice und permanente Erreichbarkeit lassen die Trennung von Arbeit und Privatleben immer mehr verschwimmen. ©iStockphoto.com/fotostorm

Jung und Alt – alle haben ihre Unsicherheiten

Sind die jüngeren Generationen eigentlich offener im Umgang mit Liebe im Job? Zwischen Babyboomern und Gen Z gebe es Unterschiede, sagt Hanisch. Doch eines verbinde alle Generationen: Unsicherheit.

„Umso größer, schutzloser, unberechenbarer und roher sich die uns umgebende Umwelt gestaltet, umso größer ist die Angst vor zusätzlicher Verletzlichkeit. Wenn also offensichtlich alles in Sekundenschnelle erklärbar, findbar, austauschbar ist, halten wir unser kleines Herz noch fester, packen es nicht nur in Watte, sondern wickeln auch noch Klebeband und Alufolie darum“, beschreibt Hanisch.

Der größte blinde Fleck der Unternehmen

Hanisch formuliert es klar: Der Fehler liege darin, Arbeit weiter als „emotionsfreien oder zumindest stark unterkühlten Raum“ zu betrachten.

Doch moderne Arbeit ist alles andere als neutral. Sie ist „öffentlich, überall“, sie schenkt Identität, Sinn, Anerkennung – oder eben nicht. „Lebendigkeit und Leistung brauchen Leidenschaft. Leidenschaft definiert Liebe.“

Liebe im Job: Karriere-Booster oder Sprengsatz?

Am Ende bleibt die Frage: Wann wird eine Beziehung zum Karrierefaktor – und wann zur Belastung?

Hanisch’ Antwort ist radikal menschlich:Wenn wir die Kraft der Anziehung und Liebe verstehen, wirklich begreifen und den Mut haben, uns verletzlich zu zeigen, schaffen wir Verbundenheit. Wir arbeiten schon lange nicht mehr nur für Geld oder Titel, wir arbeiten für Menschen, für Bewunderung, Zusammenhalt und Zugehörigkeit. Eine Liebesbeziehung am Arbeitsplatz stellt uns all das als Konfrontation vor die Füße, gefragt oder nicht. Sie gibt uns die Chance, uns wirklich zu zeigen. Alle, die betroffen sind: das Paar selbst, die Kolleg:innen, die Vorgesetzten. Gelingt das, erreichen wir eine Ebene der Akzeptanz und diese ist aus meiner Sicht die neue Grundlage für high performance.”

Scheitert dieser Prozess, endet es oft in doppeltem Verlust: „mindestens eine Trennung, nicht selten sogar zwei“ – die private und die berufliche. In Zeiten von Fachkräftemangel ist das nicht nur tragisch, sondern auch teuer.

Die Arbeitswelt der Zukunft braucht Mut, Offenheit und eine neue Kultur des Dialogs. Denn die Frage ist längst nicht mehr, ob wir uns das leisten können – sondern, wie Hanisch sagt: „nur noch, wie lange.“

Bildquellen

  • Liebe im Job: iStockphoto.com / Paperkites

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