Ein ganz normaler Montagmorgen: Der Kaffee dampft, die Zeitung raschelt. Plötzlich ein Kribbeln in der rechten Hand. Der Arm gehorcht nicht mehr, die Worte stocken, der Mundwinkel hängt – und das Leben steht still. Ein Schlaganfall. So plötzlich, so unerwartet, so gefährlich. Am 29. Oktober, dem Weltschlaganfalltag, steht genau dieser Moment im Fokus. Er erinnert daran, dass bei einem Schlaganfall jede Sekunde zählt. Das Motto in diesem Jahr: „Time is Brain“ – je schneller gehandelt wird, desto größer sind die Chancen auf Leben, Funktion und Zukunft.
Alle 20 Minuten ein Schlaganfall – allein in Österreich
Rund 20.000 Menschen erleiden in Österreich jedes Jahr einen Schlaganfall – das bedeutet: alle 20 Minuten trifft es jemanden. Betroffen sind Männer und Frauen, Jung und Alt, Sportliche ebenso wie weniger Aktive.
Wenn der Schlaganfall eintritt, zählt jede Sekunde, denn mit jeder Minute ohne Behandlung sterben Millionen Gehirnzellen unwiederbringlich ab. Diese Erkenntnis macht deutlich, wie wichtig es ist, die Warnsignale zu kennen und sofort zu handeln – das kann Leben retten, das eigene oder das eines anderen.
Warnsignale erkennen – Leben retten
Doch woran erkennt man überhaupt einen Schlaganfall? Die typischen Symptome treten plötzlich auf – ohne Vorwarnung:
- Lähmungen oder Taubheitsgefühle auf einer Körperseite
- ein hängender Mundwinkel
- Sprach- oder Sehstörungen
- Schwindel oder starke Kopfschmerzen
„Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit“, mahnt Dr.in Julia Ferrari, Präsidentin der Österreichischen Schlaganfall-Gesellschaft (ÖGSF) und Leiterin der Neurologie am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien. „Wissen um Symptome, Aufmerksamkeit für Warnsignale und rasches Handeln können den Unterschied bedeuten – zwischen bleibender Behinderung und einem zweiten Leben.“
Zur raschen Orientierung dient der FAST-Test – eine simple, aber lebensrettende Merkhilfe:
F – Face (Gesicht): Hängt eine Gesichtshälfte herab?
A – Arm: Kann eine Person einen Arm nicht heben oder halten?
S – Speech (Sprache): Ist die Sprache verwaschen oder unverständlich?
T – Time (Zeit): Sofort 144 anrufen! Jede Minute zählt.
80 Prozent aller Schlaganfälle wären vermeidbar
So dramatisch ein Schlaganfall ist – ebenso erstaunlich ist, dass vier von fünf Fällen vermeidbar wären. Wie? Durch einfache, aber konsequente Lebensstilmaßnahmen:
- nicht rauchen
- auf das Gewicht achten (BMI unter 25)
- gesunde, mediterrane Ernährung
- mäßiger oder kein Alkoholkonsum
- und regelmäßige Bewegung – mindestens 150 Minuten pro Woche
„Nur 30 Minuten Bewegung an fünf Tagen pro Woche können das Schlaganfallrisiko um ein Viertel senken“, erklärt Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Thomas Gattringer, Leiter der Stroke Unit der Universitätsklinik Graz.
Klingt simpel – und ist es auch. Doch der innere Schweinehund ist oft hartnäckig. Darum will der Weltschlaganfalltag auch Ermutigung sein: Kleine Schritte zählen. Der tägliche Spaziergang, das Stiegensteigen, der Verzicht auf die Zigarette – sie alle summieren sich zu einem starken Schutzschild fürs Gehirn.
Die vier größten Risikofaktoren
Neben Lebensstil spielen vier medizinische Faktoren eine entscheidende Rolle. Sie sind messbar – und vor allem: behandelbar.
1. Bluthochdruck
Bluthochdruck gilt als der wichtigste Risikofaktor. Er macht lange keine Beschwerden, schädigt aber still und leise die Gefäße. „Er sollte im Regelfall nicht höher als 130 zu 80 sein“, sagt Dr. Ferrari.
Regelmäßige Messungen, salzarme Ernährung, Bewegung und gegebenenfalls Medikamente sind die Eckpfeiler der Kontrolle. Wer seinen Blutdruck im Griff hat, senkt das Schlaganfallrisiko um bis zu 40 Prozent.
2. Hohes Cholesterin
Erhöhte LDL-Cholesterinwerte fördern Ablagerungen in den Arterien – und damit auch den Schlaganfall. Je niedriger der Wert, desto besser:
- unter 115 mg/dl für gesunde Menschen
- unter 70 mg/dl für Hochrisikopatient:innen
- unter 55 mg/dl bei bereits erlittenem Schlaganfall
Ein weiterer, oft unbekannter Faktor ist Lipoprotein(a), kurz Lp(a) – ein erblich bedingter Blutfettwert. Ist er erhöht (über 50 mg/dl), steigt das Risiko, auch wenn alle anderen Werte normal sind. Eine einmalige Bestimmung im Erwachsenenalter wird empfohlen.
3. Diabetes mellitus
Zu hoher Blutzucker greift Gefäße an, fördert Arterienverkalkung und verdoppelt bis verdreifacht das Schlaganfallrisiko. Gute Zuckerwerte sind daher entscheidend – ebenso wie regelmäßige ärztliche Kontrollen.
4. Rauchen
Nikotin verengt Gefäße, erhöht die Gerinnungsneigung und schädigt Gefäßwände. Raucher:innen haben doppelt so häufig Schlaganfälle wie Nichtraucher:innen. Aber: Schon wenige Monate nach einem Rauchstopp beginnt sich das Risiko deutlich zu senken. Das Gehirn kann sich erstaunlich gut erholen – wenn man ihm die Chance dazu gibt.
Akutbehandlung in der „goldenen Stunde“
Kommt es zum Schlaganfall, ist die erste Stunde entscheidend – die sogenannte „goldene Stunde“. Schnelle Hilfe, richtiger Transport und spezialisierte Behandlung können den Unterschied zwischen bleibender Behinderung und weitgehender Genesung ausmachen.
In Österreich werden Schlaganfallpatient:innen in sogenannten Stroke Units behandelt – spezialisierten Stationen, wo Neurolog:innen, Pflegekräfte, Physiotherapeut:innen und Logopäd:innen Hand in Hand arbeiten.
Zwei Therapien stehen dabei im Mittelpunkt:
Lysetherapie (Thrombolyse)
Hierbei wird ein Medikament verabreicht, das das Blutgerinnsel im Gehirn auflöst. Standardmäßig ist sie innerhalb von 4,5 Stunden nach Symptombeginn möglich – doch moderne Bildgebung hat das Zeitfenster erweitert.
In bestimmten Fällen kann eine Lyse sogar bis zu neun Stunden nach Beginn erfolgreich sein – oder bei sogenannten Wake-up-Strokes, also Schlaganfällen im Schlaf. Entscheidend ist, dass noch rettbares Hirngewebe vorhanden ist.
Mechanische Thrombektomie
Dabei wird das Blutgerinnsel über einen Katheter mechanisch entfernt – eine Revolution der letzten Jahre. Neueste Studien zeigen, dass selbst Patient:innen mit bereits großem Hirnschaden („Large-Core“-Infarkten) profitieren können, wenn sorgfältig ausgewählt wird. Das Ziel ist immer dasselbe: so viel Hirngewebe wie möglich zu retten – so schnell wie möglich.
Rehabilitation – der zweite Kampf
Doch der Weg endet nicht mit der Entlassung aus dem Krankenhaus. Ein Schlaganfall ist keine Momentaufnahme – er ist eine chronische Erkrankung. Etwa 29 Prozent der Betroffenen werden innerhalb des ersten Jahres erneut stationär aufgenommen, oft wegen Komplikationen wie Depression, Stürzen oder Spastik. Eine strukturierte Nachsorge, idealerweise rund drei Monate nach dem Ereignis, kann das Risiko für Folgeprobleme deutlich senken.
Rehabilitation bedeutet Teamarbeit: Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, psychologische Betreuung, Sozialarbeit. Ziel ist es, Selbstständigkeit und Lebensqualität zurückzuerlangen.
Und ja – auch wenn das Leben nach einem Schlaganfall anders wird, es kann wieder lebenswert sein. Viele Patient:innen berichten von einem neuen Bewusstsein für Gesundheit, Familie und Lebensfreude.
Forschung bringt neue Hoffnung
Die Schlaganfallmedizin hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Moderne Bildgebungsverfahren (CT und MRT) erlauben heute, den Zustand des Gehirns präzise zu beurteilen – und individuell über die beste Therapie zu entscheiden. Neue RNA-basierte Medikamente zur Senkung des Lipoprotein(a)-Wertes befinden sich in klinischer Erprobung.
Auch künstliche Intelligenz wird zunehmend eingesetzt – etwa zur automatischen Analyse von CT-Bildern und zur rascheren Diagnosestellung. All das verkürzt die Zeit bis zur Behandlung – und rettet Hirnzellen.
Vorbeugen ist die beste Medizin
So faszinierend High-Tech-Medizin auch ist – sie kann nur dann wirken, wenn der Schlaganfall überhaupt rechtzeitig erkannt wird. Noch besser: wenn er gar nicht erst passiert.
Die besten Waffen gegen den Schlaganfall sind Prävention und Wissen:
- Regelmäßige Blutdruck- und Blutzuckerkontrollen
- Blutfettmessungen
- Bewegung und ausgewogene Ernährung
- Rauchstopp
- Stressmanagement
Und – was oft unterschätzt wird – soziale Unterstützung. Menschen, die in Familie oder Freundeskreis über Gesundheit sprechen, regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen und gemeinsam aktiv sind, leben nicht nur länger, sondern auch gesünder.
Bildquellen
- Schlaganfall: iStockphoto.com/ whitebalance.space

