Thrombose Gefahr: Kann KI uns weiterhelfen?

Thrombosen zählen zu den gefährlichsten Gefäßerkrankungen, da sich Blutgerinnsel in den Venen bilden und den Blutfluss blockieren können. Besonders häufig treten sie in den Beinen auf, doch auch kleinere Venen im Analbereich können betroffen sein und Beschwerden verstärken. Hämorrhoiden oder sogenannte „Piles“ erhöhen durch den lokalen Venendruck das Risiko für thrombotische Ereignisse und können die Behandlung erschweren.

Eine frühzeitige Diagnose, gezielte Prävention und verständliche Aufklärung sind daher entscheidend, um schwerwiegende Komplikationen wie Lungenembolien zu vermeiden.

Eine neue Studie der MedUni Wien zeigt nun, dass Künstliche Intelligenz (KI) in diesem Zusammenhang eine überraschend hilfreiche Rolle spielen kann. Doch wie genau wurde die Untersuchung durchgeführt, und welche Ergebnisse liefert sie?

KI in der Medizin: Wenn Maschinen mit Ärzt:innen mithalten

Sprachmodelle der Künstlichen Intelligenz liefern bei Fragen zur Thrombose-Aufklärung nicht nur solide, sondern in einigen Bereichen sogar bessere Antworten als ausgewiesene Fachexpert:innen. In komplexen medizinischen Fällen zeigen sie sich teilweise gleichwertig – ein Meilenstein für die digitale Medizin.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass KI das ärztliche Handeln sinnvoll ergänzen kann“, betont Studienleiter Cihan Ay. Die Studie wurde von Nikola Vladic und Cihan Ay von der Universitätsklinik für Innere Medizin I (Klinische Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie, MedUni Wien) geleitet und im renommierten Journal of Thrombosis and Haemostasis veröffentlicht.

Was die Forschenden untersuchten

Venöse Thromboembolien (VTE), zu denen tiefe Beinvenenthrombosen und Lungenembolien gehören, zählen zu den häufigsten und gefährlichsten Gefäßerkrankungen. Eine rechtzeitige Diagnose und umfassende Patient:innenaufklärung sind entscheidend, um schwere Komplikationen zu verhindern.

Medizinische Informationen sind jedoch oft komplex, mit Fachbegriffen gespickt und für Laien schwer verständlich. Genau hier kann KI unterstützen, indem sie Wissen verständlich, präzise und empathisch vermittelt.

In der Wiener Studie wurden drei KI-Systeme getestet:

  • ChatGPT
  • DeepSeek
  • Le Chat Mistral

Diese traten gegen eine internationale Gruppe von Thrombosespezialist:innen aus 18 Ländern an. Bewertet wurden Antworten zu typischen Patient:innenfragen und komplexen klinischen Fallbeispielen – anonym und verblindet. „Wir wollten wissen, ob moderne Sprachmodelle die Qualität ärztlicher Kommunikation erreichen – oder sogar übertreffen“, erklärt Erstautor Nikola Vladic.

KI punktet bei Patient:innenaufklärung

Das Ergebnis war überraschend deutlich: Bei der Aufklärung von Patient:innen lieferten die KI-Modelle insgesamt klarere, strukturiertere und besser verständliche Antworten als viele menschliche Expert:innen.

Unabhängige Gutachter:innen bewerteten die KI-Texte als besonders präzise, praxisnah und verständlich. Die Modelle erklärten Fachbegriffe, gaben konkrete Tipps und vermieden unnötigen Jargon, ohne die medizinische Genauigkeit zu vernachlässigen. „Gerade bei sensiblen Themen wie Thrombose braucht es eine Kommunikation, die verständlich, beruhigend und sachlich korrekt ist. Hier konnte die KI auf ganzer Linie überzeugen.“, so Vladic.

Beispielhafte Fragen aus der Studie:

  • Wie erkenne ich eine Thrombose?
  • Welche Risikofaktoren gibt es?
  • Wie kann ich nach einer Lungenembolie vorbeugen?

In allen diesen Bereichen lieferte die KI höhere Informationsqualität als viele Expert:innen, dabei in einem Ton, der Patient:innen ernst nimmt, aber nicht überfordert.

Auf Augenhöhe bei komplexen Fällen

Noch beeindruckender: Auch in klinischen Entscheidungssituationen konnte KI mit Ärzt:innen mithalten.

Drei Fallbeispiele wurden anonym bewertet:

  • Tiefe Beinvenenthrombose bei einer jungen Frau
  • Lungenembolie bei einem jungen Mann ohne Risikofaktoren
  • Tumorpatient mit Blutungskomplikation
Künstliche Intelligenz kann hilfreich sein und bei der Entscheidungsfindung helfen, trotzdem keinen Menschen ersetzen. ©iStockphoto.com/ RossHelen

Die KI-Modelle analysierten Symptome, Risiken und mögliche Behandlungen. In den meisten Fällen waren ihre Empfehlungen medizinisch korrekt, logisch strukturiert und vollständig.  „Wir waren beeindruckt, wie differenziert die KI argumentierte.

Sie kombinierte aktuelle Leitlinien mit nachvollziehbaren Begründungen – ganz wie erfahrene Fachärzt:innen.“, so Ay. Natürlich gab es Unterschiede: Bei seltenen Spezialfragen oder neueren Studiendaten war die KI weniger präzise. Doch insgesamt konnte sie mit den Expert:innen mithalten.

Wie KI das ärztliche Arbeiten verändern könnte

Die Studie zeigt: KI ist kein Ersatz, sondern eine Ergänzung ärztlicher Expertise. Potenzielle Einsatzbereiche wären: Medizinische Informationen verständlich aufbereiten, Patient:innen aufklären und Fragen beantworten sowie Ärzt:innen bei der Entscheidungsfindung unterstützen.

Ebenso kann KI in einem komplexen Gesundheitssystem Zeitdruck mindern und Ressourcen effizienter nutzen. Doch: „KI kann Ärzt:innen entlasten – nicht ersetzen“,
betont Ay. „Sie kann Routinefragen übernehmen, Informationsmaterial erstellen oder Leitlinien zusammenfassen. So bleibt mehr Zeit für das Wesentliche: den Menschen.“

Datenschutz & Verantwortung: Grenzen erkennen

Trotz des Potenzials gibt es klare Grenzen. KI verarbeitet sensible Gesundheitsdaten, deren Schutz höchste Priorität hat. Mit dem EU-AI-Act werden strenge Richtlinien für den Einsatz von KI im Gesundheitswesen umgesetzt, um Transparenz, Sicherheit und Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten.

KI darf nicht zur Black Box werden. Wir müssen verstehen, wie ein System zu seiner Empfehlung kommt – und die letzte Entscheidung liegt immer bei den Ärzt:innen.“, warnt Vladic. Das Prinzip heißt Explainable AI: Nur wenn medizinisches Personal die Entscheidungslogik nachvollziehen kann, ist ein verantwortungsvoller Einsatz möglich.

Risiken: Von Empathie bis Halluzinationen

Eines kann KI noch nicht: echte Empathie. Medizin ist nicht nur Diagnose und Therapie, sondern auch Zuhören, Beruhigen und Begleiten. Maschinen können Fakten liefern, aber keine emotionale Nähe schaffen. „KI kann erklären, was eine Lungenembolie ist, aber sie kann niemandem die Angst davor nehmen“, sagt Vladic. Daher sollen KI-Systeme Ärzt:innen unterstützen, nicht ersetzen, und so mehr Zeit für die persönliche Betreuung freimachen.

Ein weiterres mögliches Risiko: Wenn junge Ärzt:innen sich zu sehr auf KI verlassen, könnten sie langfristig weniger eigenständig klinische Entscheidungen treffen. Hinzu kommt, dass Sprachmodelle manchmal Fehlinformationen („Halluzinationen“) erzeugen, die in der Medizin gefährlich sein können. „Es darf nicht passieren, dass wir verlernen, klinisch zu denken“, mahnt Ay. Deshalb müssen KI-Systeme kontinuierlich überwacht, trainiert und kontrolliert werden.

Die Zukunft: Medizinische Bildung neu gedacht

KI kann auch die Ausbildung revolutionieren:

  • Fallbeispiele simulieren
  • Diagnostische Strategien üben
  • Patient:innengespräche trainieren

„KI kann medizinisches Wissen demokratisieren“, erklärt Vladic. „Richtig eingesetzt macht sie Medizin weltweit zugänglich.“ Ziel ist es also, dass künftige Ärzt:innen kritisch und kompetent mit KI-Systemen arbeiten.

Ein Wendepunkt für die Medizin

KI-Systeme werden in Bereichen wie Radiologie, Dermatologie oder Onkologie bereits immer präziser. Die Thromboseforschung zeigt nun, dass sie auch bei komplexen, kontextabhängigen Entscheidungen mithalten können. „Wir stehen am Beginn einer neuen Ära. KI wird die Medizin nicht ersetzen, aber sie nachhaltig verändern.“, so Aly.

Die Studie zeigt: KI kann Ärzt:innen nicht ersetzen, aber ihre Arbeit verbessern. Sie strukturiert Wissen, verbessert Kommunikation und unterstützt bei Entscheidungen – vorausgesetzt, sie wird verantwortungsvoll eingesetzt. „KI kann Ärzt:innen nicht ersetzen, aber sie kann ihnen helfen, bessere Ärzt:innen zu sein“, schließt Vladic.

Bildquellen

  • Thrombose kann lebensgefährlich werden: iStockphoto.com/ megaflopp

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