Blutuntersuchungen gehören zur Standarddiagnostik in der Medizin – auch bei Kindern. Doch was viele nicht wissen: Die sogenannten Referenzwerte, also die Vergleichswerte für das Labor, unterscheiden sich je nach Alter zum Teil enorm. Ein Wert, der bei einem Erwachsenen unauffällig ist, kann bei einem Kind ein Warnsignal sein – oder umgekehrt.
Trotzdem verwenden viele Labore in Österreich bei Kindern keine altersangepassten Normbereiche. Das bedeutet: Selbst wenn die Blutprobe korrekt analysiert wird, kann das Ergebnis falsch eingeschätzt werden. Doch was sollte man beachten?
Kleine Patient:innen – große Unsicherheit bei Laborwerten
Die MedUni Wien hat dieses Problem nun in einer Studie untersucht. Die Forschenden wählten zwei seltene genetische Knochenerkrankungen als Beispiel: die X-chromosomale Hypophosphatämie (XLH) und die Hypophosphatasie (HPP). Beide Krankheiten beeinflussen den Knochenstoffwechsel und können zu Wachstumsstörungen, Schmerzen und langfristigen Schäden führen.
Entscheidend ist, dass sie sich anhand bestimmter Laborwerte erkennen lassen: Bei XLH ist der Phosphatwert im Blut dauerhaft erniedrigt, bei HPP ist die Aktivität der alkalischen Phosphatase zu niedrig. Bei Kindern liegen diese Werte jedoch von Natur aus auf einem anderen Niveau als bei Erwachsenen – weshalb altersgerechte Referenzwerte entscheidend sind, um diese Krankheiten zu erkennen.
Viele Labore versagen bei der Interpretation
Für die Studie wurde eine Blutprobe erstellt, wie sie bei einem vierjährigen Kind mit XLH oder HPP vorkommen könnte. Diese Probe enthielt krankhafte, aber für dieses Alter typische Werte. Insgesamt wurden 26 niedergelassene Labore in Österreich damit getestet.
Das ernüchternde Ergebnis: Obwohl die Labore technisch korrekt gemessen hatten, wurden die krankhaften Werte in über der Hälfte der Fälle als normal eingestuft. Nur 18 Prozent der Labore verwendeten passende Referenzwerte für Phosphat, 41 Prozent für die alkalische Phosphatase.
Der Rest interpretierte die Daten nach Erwachsenenmaßstäben – und erkannte die Gefahr nicht. Für betroffene Kinder bedeutet das: Ihre Erkrankung wird möglicherweise erst spät oder gar nicht erkannt.
Fehlende Vorgaben – eine riskante Grauzone
Ein Grund für diese gravierenden Fehleinschätzungen ist das Fehlen gesetzlicher Vorgaben. Studienleiter Dr. Adalbert Raimann von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien erklärt: „Es gibt derzeit keine verpflichtenden Regeln, die Labore dazu zwingen, altersangepasste Referenzwerte zu verwenden oder offen anzugeben, welche Werte sie heranziehen.“
Diese Regelungslücke betrifft nicht nur Österreich – auch in vielen anderen europäischen Ländern fehlt es an verbindlichen Standards. Das hat zur Folge, dass Labore ihre eigenen Maßstäbe festlegen – oft aus praktischen oder wirtschaftlichen Gründen. Dabei wird aber übersehen, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind.
Ihre Blutwerte müssen im richtigen Zusammenhang gesehen werden – sonst drohen Fehldiagnosen.
Empfehlungen: Was sich jetzt ändern muss
Die Autor:innen der Studie fordern daher einheitliche Richtlinien auf nationaler und internationaler Ebene. Labore sollen verpflichtet werden, bei Kindern ausschließlich altersangepasste Referenzbereiche zu verwenden – am besten gekoppelt an bestehende Qualitätssicherungsmaßnahmen.
Auch medizinisches Personal sollte besser geschult werden, um bei auffälligen oder unklaren Werten gezielter nachzufragen. Zusätzlich schlagen die Forschenden vor, eine öffentlich einsehbare Liste von Laboren zu veröffentlichen, die bereits kindgerechte Normwerte anwenden.
Das würde nicht nur für mehr Transparenz sorgen, sondern auch Eltern und Ärzt:innen helfen, bewusster zu entscheiden, wohin Blutproben geschickt werden. Solche Maßnahmen könnten die Diagnosestellung bei seltenen Krankheiten deutlich verbessern.
Früherkennung rettet Lebensqualität
Seltene Erkrankungen wie XLH oder HPP sind schwer zu erkennen – gerade weil sie so selten sind und oft untypische Symptome zeigen. Umso wichtiger ist es, dass alle Bausteine in der Diagnostik präzise aufeinander abgestimmt sind. Die Laboruntersuchung ist dabei oft der erste Schritt.
Wenn hier bereits ein Fehler passiert, etwa durch falsche Referenzwerte, verzögert sich die Diagnose erheblich. Dabei ist es gerade im Kindesalter entscheidend, frühzeitig mit der richtigen Behandlung zu beginnen – für mehr Lebensqualität, weniger Komplikationen und bessere Langzeitprognosen. Die aktuelle Studie zeigt klar: Der Schutz unserer Kinder beginnt nicht nur im Wartezimmer, sondern auch im Labor.
Es ist höchste Zeit, kindgerechte Standards verbindlich zu machen – damit kein Kind mehr durch das Raster fällt.
Bildquellen
- Laborwerte bei Kindern: SDI Productions/ istock