Dynamisches Dehnen: Pflicht oder überbewerteter Fitness-Mythos?

Dynamisches Dehnen

Ob im Schulsport, im Verein oder im Fitnessstudio – wir alle haben irgendwann gelernt, dass dynamisches Dehnen zum Aufwärmen einfach dazugehört. Doch Hand aufs Herz: Machst du es heute wirklich noch vor jeder Trainingseinheit? Die meisten von uns überspringen das Kreisen, Schwingen und Wippen nur allzu gern, um direkt loszulegen. Aber bevor du das Dehnen endgültig von deiner Routine streichst, lohnt sich ein genauerer Blick: Ist dynamisches Dehnen tatsächlich so wichtig, wie man uns immer erzählt hat?

Was dynamisches Dehnen eigentlich ist

Viele Menschen verwechseln Dehnen mit dem, was man früher im Schulsport gemacht hat: in unbequemen Positionen verharren und darauf hoffen, dass es irgendwann vorbei ist. Dynamisches Dehnen hat damit wenig zu tun. Es geht nicht ums „Aushalten“, sondern ums Bewegen. Du gehst aktiv durch deinen Bewegungsradius – kontrolliert, rhythmisch, aber ohne Hektik.

Anstatt also minutenlang in einer Vorbeuge zu hängen, bewegst du dich sanft hinein und wieder heraus. Dein Körper bleibt in Bewegung, Muskeln und Gelenke werden dabei durchblutet und aufgewärmt. Typische Beispiele sind Beinpendel, Ausfallschritte mit Drehung oder Inchworms – Übungen, die gleichzeitig dehnen und aktivieren.

Der Gedanke dahinter ist simpel: Wenn du dich gleich intensiv bewegen willst, solltest du dich auch mit Bewegung aufwärmen.

Wie dynamisches Dehnen zum Fitness-Trend wurde

Früher galt statisches Dehnen – also das klassische Halten einer Position – als Pflicht vor jedem Training. Dann kamen Studien, die zeigten, dass statisches Dehnen vor dem Workout kurzfristig die Muskelkraft und Sprungleistung verringern kann. Das war der Moment, in dem Trainer:innen weltweit die Stirn runzelten und nach Alternativen suchten.

Dynamisches Dehnen wurde zur neuen Hoffnung. Es versprach, den Körper vorzubereiten, ohne die Leistung zu beeinträchtigen. Bald sah man in jeder Sporthalle Menschen mit kreisenden Armen, schwingenden Beinen und drehenden Hüften. Die neue Regel lautete: Wer dynamisch dehnt, trainiert sicherer und besser.

Doch wie so oft ist die Wahrheit etwas komplexer. Dynamisches Dehnen ist kein magischer Schlüssel zu mehr Leistung – aber auch kein überbewertetes Ritual. Es ist, richtig eingesetzt, ein nützliches Werkzeug im Warm-up, das seinen Platz verdient hat.

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Was die Wissenschaft sagt

Wissenschaftlich betrachtet hat dynamisches Dehnen einige klare Vorteile. Es erhöht die Körpertemperatur, regt die Durchblutung an und verbessert den Bewegungsradius. Das klingt unspektakulär, ist aber entscheidend: Warme Muskeln reagieren schneller, arbeiten effizienter und sind weniger verletzungsanfällig.

Dazu kommt der mentale Effekt. Wer sich ein paar Minuten bewusst bewegt, schaltet den Kopf auf „Training“ um. Der Körper wird wacher, das Nervensystem aktiver. Genau das zeigen Studien: Dynamisches Dehnen steigert die sogenannte neuromuskuläre Aktivierung – also die Kommunikation zwischen Gehirn und Muskulatur.

Interessant wird es bei der Verletzungsprävention. Die berühmte FIFA-11+-Studie aus dem Jahr 2022 zeigte, dass sportartspezifische dynamische Aufwärmprogramme Verletzungen bei Fußballspielern deutlich reduzieren können. Doch andere Untersuchungen kommen zu anderen Ergebnissen: Nicht in jedem Fall lässt sich das Risiko wirklich senken. Der Effekt hängt stark davon ab, wie gezielt und regelmäßig die Übungen ausgeführt werden.

Das Fazit vieler Forscher:innen lautet daher: Dynamisches Dehnen schadet nicht – im Gegenteil, es kann sogar leicht leistungsfördernd wirken – aber es ersetzt kein gutes Techniktraining und keine kluge Trainingsplanung.

Der Unterschied zwischen Dehnen und Aufwärmen

Viele werfen Dehnen und Aufwärmen in einen Topf, dabei ist dynamisches Dehnen nur ein Teil des Warm-ups. Ein vollständiges Aufwärmprogramm besteht meist aus drei Phasen:

  1. Allgemeines Aufwärmen: Du erhöhst Puls und Körpertemperatur – z. B. mit leichtem Joggen, Seilspringen oder Rudern.
  2. Dynamisches Dehnen / Mobilisieren: Hier bringst du gezielt die Gelenke in Bewegung, die du gleich brauchst – Hüften für Squats, Schultern für Overhead-Presses, Sprunggelenke für Sprints.
  3. Spezifisches Warm-up: Du führst die eigentliche Übung mit leichtem Gewicht oder geringerer Intensität aus, um die Bewegungsabläufe zu aktivieren.

Dynamisches Dehnen ist also Teil, aber nicht alles im Warm-up. Wer nur ein paar wilde Armkreise macht und das Aufwärmen abhakt, hat den Sinn verfehlt.

Die Stärken des dynamischen Dehnens

Der größte Vorteil des dynamischen Dehnens liegt in seiner Vielseitigkeit. Es ist Bewegung, Aktivierung und Mobilitätstraining zugleich. Du förderst die Durchblutung, verbesserst die Gelenkbeweglichkeit und signalisierst deinem Körper, dass gleich Arbeit ansteht.

Ein schöner Nebeneffekt: Nach einer dynamischen Dehneinheit fühlst du dich wacher, koordinierter und fokussierter. Studien belegen, dass Athletinnen und Athleten nach einem kurzen dynamischen Warm-up oft besser sprinten, höher springen oder mehr Kraft entwickeln – wenn auch nur leicht. Es geht also um kleine, aber spürbare Verbesserungen.

Dazu kommt der mentale Aspekt: Dynamisches Dehnen ist ein Ritual, das dich aus dem Alltag reißt. Es markiert den Übergang zwischen Büro und Training, zwischen Denken und Tun. In diesen Minuten stellst du dich nicht nur körperlich, sondern auch geistig auf Leistung ein.

Die Schwächen – ja, die gibt es auch

So positiv das alles klingt, dynamisches Dehnen ist kein Allheilmittel. Wer es übertreibt, schadet sich eher, als dass er profitiert. Studien zeigen, dass zu langes oder zu intensives Dehnen vor dem Training die Muskeln ermüden kann. Nach 25 Minuten Dehnen fühlt man sich nicht warm, sondern schlapp. Fünf bis zehn Minuten genügen vollkommen.

Auch gegen Muskelkater wirkt dynamisches Dehnen nicht. Wenn du am nächsten Tag kaum Treppen steigen kannst, hilft kein noch so engagiertes Beinpendeln. Da hilft nur: ausreichend Schlaf, gutes Essen und Zeit.

Und wer nur kurz trainiert – etwa eine halbe Stunde Krafttraining oder eine lockere Laufrunde – braucht oft kein ausgefeiltes Dehnprogramm. Ein paar leichte Aufwärmsätze erfüllen denselben Zweck.

Wann dynamisches Dehnen sinnvoll ist

Am meisten profitiert man davon, wenn das Training intensiv oder komplex ist – etwa beim Gewichtheben, Sprinten oder Mannschaftssport. Auch wer viel sitzt, sollte sich die paar Minuten gönnen. Nach acht Stunden am Schreibtisch sind Hüften und Brustmuskeln oft so steif wie Beton. Ein kurzes Mobilitätsprogramm kann hier wahre Wunder bewirken – nicht nur für die Haltung, sondern auch für das Wohlbefinden.

Und manchmal ist dynamisches Dehnen weniger körperlich als mental wichtig. Wenn du gestresst ins Gym kommst, kann es helfen, durch diese sanften Bewegungen im Moment anzukommen. Es zwingt dich, kurz durchzuatmen, dich zu spüren, den Körper zu aktivieren – und das ist mehr wert, als man denkt.

Wie viel reicht aus?

Mehr ist hier nicht besser. Die meisten Expertinnen und Trainer empfehlen fünf bis zehn Minuten, nicht mehr. Entscheidend ist nicht die Dauer, sondern die Qualität. Lieber drei gezielte Übungen für Hüfte, Schultern und Rücken als ein endloses Programm, das dich ermüdet.

Wähle Bewegungen, die zu deinem Training passen. Wenn du Beine trainierst, brauchst du keine Armkreise. Wenn du Schultertraining machst, ist das Gegenteil der Fall. Wichtig ist, dass die Bewegungen kontrolliert bleiben – nicht schwingen, nicht reißen, sondern fließend und fokussiert.

So wird dynamisches Dehnen nicht zu einer Pflichtübung, sondern zu einer Art Übergangsritual, das dich in den Trainingsmodus bringt.

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Bildquellen

  • Dynamisches Dehnen: iStockphoto.com/ FreshSplash

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