Zucker lauert überall – in Torten, Schokolade, Mehlspeisen und in fast jeder Packung, die im Supermarktregal steht. Du greifst vielleicht zum Müsli und denkst: „Das ist doch gesund“, oder zum Fruchtsaft, weil er „natürlich“ klingt. Doch wer nicht regelmäßig einen Blick auf die Nährwerttabelle wirft, kann ohne es zu merken Unmengen an Zucker zu sich nehmen – Tag für Tag. Während wir genüsslich naschen, trinken und snacken, hat sich still und heimlich ein Problem eingeschlichen, denn wir essen – oder genauer gesagt: wir überessen – uns an Zucker.
Wenn süß zu viel wird
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollte maximal zehn Prozent der täglichen Energiezufuhr aus sogenanntem „freiem Zucker“ stammen. Das entspricht in Österreich etwa 53,5 Gramm pro Tag – rund 13 Teelöffel. Klingt realistisch, oder? Doch in der Realität sieht das anders aus: Erwachsene in Österreich konsumieren im Schnitt fast 92 Gramm Zucker täglich. Das sind 24 Zuckerwürfel – Tag für Tag.
Wer das einmal bildlich vor Augen hat, bekommt ein Gefühl dafür, wie viel das eigentlich ist. Eine 0,5-Liter-Flasche Cola deckt schon fast die gesamte empfohlene Tagesmenge ab. Und dabei bleibt es selten bei der einen Flasche.
Da gibt es noch das gesüßte Frühstücksjoghurt, die Schoko-Müsliriegel am Nachmittag, die süßen Soßen beim Abendessen oder den „gesunden“ Fruchtsaft zwischendurch. So summiert sich der Zucker unbemerkt – und am Ende des Tages hat man weit mehr konsumiert, als man denkt.
Ein Land im Zuckerrausch
Österreich hat eine Schwäche für Süßes – das steckt uns irgendwie in den Genen. Apfelstrudel, Sachertorte, Palatschinken, Germknödel: unsere Klassiker sind Zuckerbomben mit Kultstatus. Doch was früher in Maßen genossen wurde, ist heute zur Gewohnheit geworden. Zucker ist längst kein Genussmoment mehr, sondern Alltag – und genau das ist das Problem.
Laut einem aktuellen Bericht von Foodwatch Austria konsumiert jede:r Österreicher:in im Schnitt rund 29 Kilogramm Zucker pro Jahr – also fast 80 Gramm pro Tag. Noch erschreckender ist der Blick auf die Kinder. Schon jedes vierte Mädchen und jeder dritte Bub im Volksschulalter leidet an Übergewicht. Viele von ihnen sind stark zuckergewöhnte Esser:innen. Ein Fruchtsaft hier, ein Kinderjoghurt da – und schon ist die empfohlene Höchstmenge von 38 Gramm pro Tag (für Kinder) weit überschritten.
Besonders hinterhältig: Zucker versteckt sich oft dort, wo man ihn gar nicht vermutet. Ein vermeintlich gesunder Müsliriegel kann bis zu sieben Stück Würfelzucker enthalten, ein Fruchtjoghurt doppelt so viel. Selbst in pikanten Produkten wie Fertigsaucen, Tiefkühlgerichten oder Salatdressings steckt Zucker. Er ist billig, sorgt für Geschmack und macht uns – man kann es nicht anders sagen – ein bisschen süchtig.
Die süße Falle
Zucker aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn. Wenn wir etwas Süßes essen, wird Dopamin ausgeschüttet – jenes Hormon, das uns glücklich macht. Es ist derselbe Mechanismus, der auch bei Alkohol, Glücksspiel oder sozialen Medien greift. Kurz gesagt: Zucker macht Lust auf mehr.
Kinder sind besonders anfällig für diesen Effekt. Ihr Geschmackssinn gewöhnt sich rasch an Süßes. Wer schon früh stark gesüßte Produkte konsumiert, empfindet natürliche Lebensmittel – etwa Obst oder Vollkornprodukte – später oft als „fad“. Das ist kein Zufall, sondern Teil eines Systems. Die Lebensmittelindustrie weiß, dass süß verkauft. Und so wird Zucker nicht nur als Geschmacksverstärker eingesetzt, sondern auch als Mittel zur Kundenbindung.
In der Werbung werden Kinderprodukte mit fröhlichen Figuren, bunten Verpackungen und Versprechen wie „mit wertvollem Calcium“ oder „aus Frucht“ beworben. Doch schaut man auf die Inhaltsstoffe, offenbart sich die Wahrheit: Oft steckt mehr Zucker als Frucht in den Produkten.
Eine Untersuchung von Foodwatch Austria ergab, dass 79 Prozent aller Kindergetränke mehr als fünf Gramm Zucker pro 100 Milliliter enthalten – und fast die Hälfte sogar über acht Gramm. Das bedeutet: Ein 250-Milliliter-Kindergetränk kann bis zu 20 Gramm Zucker liefern – also fünf Teelöffel.
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Die gesundheitlichen Folgen
Was macht all das mit uns? Zunächst einmal: Übergewicht ist in Österreich längst zur Volkskrankheit geworden. 3,7 Millionen Erwachsene gelten als übergewichtig, viele davon als adipös. Das sind 41 Prozent der Bevölkerung zwischen 19 und 65 Jahren. Aber das Gewicht ist nur die sichtbare Spitze des Eisbergs.
Ein dauerhaft hoher Zuckerkonsum fördert Typ-2-Diabetes, erhöht den Blutdruck, belastet die Leber und steigert das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch bestimmte Krebsarten werden mit übermäßigem Zuckerkonsum in Verbindung gebracht. Nicht zu vergessen: Zucker ist Hauptverursacher von Karies – eine Erkrankung, die in Österreichs Schulen nach wie vor alarmierend häufig vorkommt.
Das Tragische daran ist: Die gesundheitlichen Folgen entstehen schleichend. Niemand wird über Nacht krank. Doch der Körper merkt sich jede Überdosis.
Der Zucker im Alltag – überall und nirgends
Wer glaubt, nur Naschkatzen haben ein Zuckerproblem, irrt. Zucker steckt fast überall. In Wurstwaren, Ketchup, Brot, Suppenwürfeln, Dressings, Tiefkühlpizzen. Selbst herzhafte Gerichte enthalten oft zugesetzten Zucker – nicht weil es nötig wäre, sondern weil es billiger ist, den Geschmack so zu „optimieren“.
Ein Beispiel: Viele Light-Produkte werben mit „weniger Fett“. Was die Packung nicht verrät: Der fehlende Geschmack wird oft mit Zucker ausgeglichen. Fett raus, Zucker rein – und das Produkt schmeckt zwar leichter, ist aber nicht gesünder.
Besonders beliebt ist Zucker in der Getränkebranche. Österreich trinkt gern süß: Eistee, Fruchtsäfte, Energy-Drinks, Softdrinks. Eine Studie zeigte, dass der Zuckergehalt von Getränken in den letzten Jahren zwar leicht gesunken ist – von rund 7,5 auf 5,8 Gramm pro 100 Milliliter –, doch der Konsum bleibt hoch. Selbst wenn die Flasche etwas „gesünder“ wird, trinken wir einfach mehr davon.
Die ersten Gegenmaßnahmen
Ganz untätig ist Österreich nicht. Einige Handelsketten haben begonnen, Zucker freiwillig zu reduzieren. SPAR etwa hat im Rahmen seiner „Zucker-raus-Initiative“ bereits über eine Milliarde Zuckerwürfel aus Eigenmarkenprodukten gestrichen. Auch Initiativen wie SIPCAN – die „Initiative für ein gesundes Leben“ – versuchen, Schulen und Elternhäuser für das Thema zu sensibilisieren.
Doch freiwillige Selbstkontrolle stößt an Grenzen. Solange Zucker billig bleibt und die Nachfrage hoch ist, ändert sich nur langsam etwas. Immer wieder wird daher über eine Zuckersteuer diskutiert – ähnlich wie in Großbritannien oder Mexiko, wo Softdrinks mit Aufschlägen belegt werden. Die Idee: Wenn Limonaden teurer werden, sinkt der Konsum. Kritiker:innen argumentieren jedoch, dass eine Steuer sozial schwache Gruppen besonders belastet.
Aber die Befürworter:innen verweisen auf klare Daten: In Ländern mit Zuckersteuer ist der Konsum tatsächlich gesunken – und die Hersteller haben begonnen, ihre Rezepturen zu ändern. Weniger Zucker, gleicher Geschmack – es geht also, wenn der Druck groß genug ist.
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Was jede:r tun kann
Natürlich braucht es politische Maßnahmen, aber auch unser eigenes Verhalten zählt. Wer bewusst einkauft, verändert schon viel. Ein Blick auf die Nährwerttabelle kann aufschlussreich sein. Zucker tarnt sich oft hinter Namen wie „Glukosesirup“, „Invertzucker“, „Maltose“ oder „Fruktosekonzentrat“. Je weiter vorne diese Begriffe auf der Zutatenliste stehen, desto mehr Zucker ist enthalten.
Ein weiterer Trick: Getränke austauschen. Wasser, ungesüßter Tee, zuckerfreie Softdrinks oder verdünnte Fruchtsäfte können erstaunlich viel bewirken. Auch die eigene Geschmacksgewöhnung spielt eine Rolle. Wer schrittweise den Zuckergehalt in Kaffee oder Joghurt reduziert, merkt nach einigen Wochen, dass die Lust auf Süßes nachlässt. Das Gehirn lernt, neu zu schmecken – und plötzlich schmeckt der Apfel wieder süß genug.
Zuckerfrei? Nicht ganz. Aber bewusster.
Niemand muss komplett auf Zucker verzichten. Schließlich ist Glukose der Treibstoff, der unseren Zellen Energie liefert – und uns damit am Leben hält. Ein Stück Kuchen am Sonntag oder ein Eis im Sommer sind kein Verbrechen. Entscheidend ist das Maß – und das Bewusstsein dafür, wie viel Zucker sich unbemerkt in unseren Alltag schleicht. Wird der süße Konsum zur Routine, verliert der Genuss seinen Wert – und der Körper seine Balance.
Bildquellen
- Zucker-Konsum in Österreich: iStockphoto.com/ freemixer

