Ohren schützen: Ab wann laute Musik gefährlich wird

Musik begleitet uns durch den Alltag – im Büro, beim Sport, in der U-Bahn oder auf Partys. Doch wie viel ist eigentlich gesund und gibt es eine Grenze? Veronia Nica, Hörakustikmeisterin, diplomierte Pädakustikerin und Gründerin der Hörspiel GmbH in Wien, erklärt: „Ja, die gibt es. Bis 80 dB – also normale Zimmerlautstärke – hält dein Ohr viele Stunden pro Woche aus. Aber: Jede 3 dB mehr halbiert die sichere Zeit. Bei 85 dB sind es 8 Stunden, bei 88 dB nur mehr 4 Stunden, bei 100 dB gerade einmal 15 Minuten. Nach einem lauten Konzert oder Club-Abend gönn deinem Ohr am besten einen ganzen Tag Pause.

Damit wird deutlich: Schon kleine Unterschiede im Pegel haben enorme Auswirkungen. Wer seine Lieblingssongs über Kopfhörer in hoher Lautstärke hört, riskiert langfristige Schäden. Besonders gefährlich ist, dass unser Gehör keine Warnlampe besitzt – der Schaden zeigt sich oft erst Jahre später.

In-Ears oder Over-Ears – was ist besser für die Ohren?

Viele Musikliebhaber stehen vor der Frage, welche Kopfhörer sie wählen sollen. Hierzu Nica: „Früher haben Over-Ears besser abgedichtet, heute können In-Ears genauso gut sein. Mit Noise-Cancelling ist es egal, ob In-Ear oder Over-Ear – wichtig ist, dass du dadurch leiser hören kannst. In-Ears sitzen sehr nah am Trommelfell, darum achte hier besonders auf die Lautstärke. Over-Ears ohne Abdichtung oder ohne Noise-Cancelling verleiten dich oft dazu, zu laut aufzudrehen.“

Die Wahl hängt also weniger von der Bauform als von den Hörgewohnheiten ab. Noise-Cancelling-Kopfhörer können helfen, weil sie Umgebungsgeräusche reduzieren und so den Drang verringern, die Lautstärke hochzudrehen. Für Jugendliche und Erwachsene gilt: Lieber moderat hören – egal, ob In-Ear oder Over-Ear.

Lautsprecher, Konzerte und Clubs – wo die Gefahr lauert

Ein Wohnzimmerkonzert mit großen Boxen oder ein Abend im Club macht Spaß, kann aber ungesund für die Ohren werden. Ab 100 dB kann schon eine Viertelstunde reichen, um dein Gehör zu belasten. Große Lautsprecher, Festivals, Clubs – da bist du oft genau in diesem Bereich. Faustregel: Wenn du schreien musst, um dein Gegenüber in Armlänge zu verstehen, ist es zu laut“, betont Nica.

Konzerte und lange Partynächte stehen besonders bei jungen Menschen mehrmals im Monat am Programm – die Folgen für die Ohrgesundheit werden dabei oft übersehen. © iStockphotos.com/ Jordi Salas

Diese einfache Regel eignet sich hervorragend für den Alltag. Wer merkt, dass er die Stimme der Freundin oder des Freundes in einem Club nur noch mit Mühe versteht, sollte dringend Ohrstöpsel verwenden oder eine Pause an der frischen Luft einlegen.

Erste Warnsignale – so erkennt man Hörschäden früh

Viele Menschen bemerken Schäden erst spät. Doch es gibt klare Warnsignale. „Ein erstes Signal ist, dass du in lauter Umgebung Worte nicht mehr so klar verstehst – besonders Konsonanten wie S, F, T oder K. Viele merken auch ein Pfeifen im Ohr (Tinnitus) oder ein dumpfes Druckgefühl nach dem Feiern. Im Hörtest zeigt sich oft eine typische Kerbe bei 4 kHz – genau dort sitzt der Lärmschaden am Anfang.“

Dieses „Kerb-Hören“ ist für Hörakustiker ein typisches Muster. Wer solche Symptome bemerkt, sollte nicht abwarten, sondern frühzeitig einen Hörtest machen. Denn je eher ein Schaden erkannt wird, desto besser lässt sich gegensteuern – sei es durch Verhaltensänderung, Schutz oder medizinische Begleitung.

Musikrichtung, Apps und smarte Helfer

Die gute Nachricht: Nicht die Musikrichtung, sondern die Lautstärke ist das Problem. „Aber: EDM, Rock oder Clubs sind meist lauter und basslastiger. Bass fühlt sich angenehm an, darum drehst du oft weiter auf, ohne es zu merken. Leiser Pop oder Singer-Songwriter sind für deine Ohren entspannter“, erklärt Nica.

Auch die Technik kann helfen:Viele Geräte haben eine Funktion, mit der du den maximalen Lautstärkepegel einstellen kannst. Oft bekommst du auch eine Warnung, wenn du zu lange zu laut gehört hast. Dazu gibt es Apps, die die Lautstärke messen und dir zeigen, wie laut deine Umgebung wirklich ist.”

Manche Apps dabei rechnen sogar aus, wie lange dein Ohr diesen Pegel aushält, bevor es kritisch wird. Und ganz klassisch als Helfer ist eines: Musiker-Ohrstöpsel für Konzerte – die sind klein, unauffällig, aber gegen den Lärm sehr wirksam.

Tinnitus – Ursachen, Häufigkeit und Vorbeugung

Tinnitus ist weit verbreitet und betrifft längst nicht nur ältere Menschen. „Tinnitus hat viele Gesichter. Laute Musik und Lärm sind die Klassiker – je lauter und je länger, desto höher das Risiko. Stress, innere Anspannung und Schlafprobleme können Tinnitus auslösen oder verstärken. Auch Kiefergelenk (CMD) und Halswirbelsäule spielen mit – Verspannung oder Fehlfunktion kann zu Durchblutungsstörungen führen und Ohrgeräusche triggern. Dazu kommen Hörminderungen (auch altersbedingt), Ohrentzündungen, Pfropf, ototoxische Medikamente oder Kopf-/Nackentrauma.”

Ein Tinnitus entsteht oft durch verschiedene Faktoren, weshalb es sinnvoll ist, nicht nur die Ohren, sondern auch das Nervensystem sowie Kiefer und Halswirbelsäule genauer unter die Lupe zu nehmen. Auch der eigene Lebensstil spielt eine Rolle – hier kann es hilfreich sein, bestimmte Gewohnheiten zu überdenken und anzupassen, erklärt die Hörakustikmeisterin.

Besonders Musiker:innen und Konzertgänger sind gefährdet: Bei Musiker:innen ist Tinnitus deutlich häufiger als in der Allgemeinbevölkerung. Untersuchungen zeigen: Zwischen einem Fünftel und der Hälfte aller Musiker:innen berichten von Tinnitus. Bei Konzertbesucher:innen zeigen Umfragen: Mehr als die Hälfte hatte schon Tinnitus oder vorübergehendes ‚Dumpf-Gefühl‘ nach Events – ein Warnsignal für zu viel Pegel und der zu hohen Dosis.“

Stress und Schlafstörungen sind einer der häufigsten Gründe, wie Tinnitus entsteht. © iStockphotos.com/ Yurii Yarema

Therapie und Umgang mit Tinnitus

Auch wenn es keine schnelle Wundermedizin gibt, stehen heute zahlreiche bewährte Ansätze zur Verfügung, die sich je nach Ursache und Belastung kombinieren lassen. Nica erklärt: Es gebe zwar keine allgemeingültige „Pille“ gegen Tinnitus, doch es existieren wirksame Bausteine, die oft kombiniert werden. Dazu gehören audiologische Abklärung und Hörgeräte oder Sound-Therapie, Kognitiv-Verhaltenstherapie zur Reduktion der Belastung, Tinnitus-Retraining und die Behandlung somatischer Auslöser. Auch neue Ansätze wie Neuromodulation oder rTMS können in bestimmten Fällen hilfreich sein.

Besonders entscheidend ist jedoch der Umgang mit Stress und Schlaf. „Stress ‚dreht‘ das Alarm-System im Gehirn hoch, sodass der Tinnitus immer  lauter und präsenter wird. Schlafmangel macht das Gehirn reizbarer und die Filter für Nebengeräusche arbeiten schlechter, wodurch der Tinnitus in den Fokus rückt.”, so Nica.

Studien zeigen klare Zusammenhänge zwischen schlechtem Schlaf, Stress und mehr Tinnitus-Belastung.“ Wer also bewusst auf Entspannung, gute Schlafhygiene und Pausen im Alltag achtet, kann die Belastung spürbar reduzieren.

Ohrgesundheit stärken: Prävention, Schutz und Tipps für Jung und Alt

Ob Konzert, Clubnacht oder Festival – das eigene Gehör zu schützen, zahlt sich immer aus. Genauso wichtig sind Pausen, um den Ohren Zeit zur Erholung zu geben: „Denk in Dosis (Lautstärke × Zeit). Als Faustlinie aus den Safe-Listening-Guides: bis 80 dB ≈ bis 40 h/Woche ‚okay‘. Jede +3 dB halbiert die sichere Zeit. 100 dB ≈ ~15 Min/Tag. Daraus folgt: Regelmäßig raus aus der Lautstärke (Bar, frische Luft), und nach sehr lauten Abenden einen ruhigen Tag einplanen.“

Eltern und Jugendliche sollten besonders früh für Hörgesundheit sensibilisiert werden. Die Gründerin von Hörspiel fasst es in einem einprägsamen Satz zusammen: „Mein Mama-Merksatz den meine Kinder immer wieder hören: ‚Wenn du Durchsagen in der Bim nicht mehr hörst –> zu laut. Und wenn du mich nicht mehr reden hörst –> zu laut.‘ … Leise gewinnt … Abstand wirkt … Schutz tragen … Geräte-Features nutzen … Eigencheck.“

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Veronica Nica ist Hörakustikmeisterin, diplomierte Pädakustikerin und Gründerin der Hörspiel GmbH in Wien. Ihr Zugang geht weit über Technik hinaus: Es geht um Menschen, Klänge, Lebensfreude und echte Verbindung. Mit Hörspiel setzt sie neue Maßstäbe in der Hörakustik – modern, ganzheitlich und zukunftsweisend. _ OPTICON

Bildquellen

  • Ohrprobleme durch zu laute Musik: iStockphoto.com/ Ugur Karakoc

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