Stressampel: So erkennst du Burnout – und was dagegen wirklich hilft

Am 10. Oktober wird weltweit der World Mental Health Day begangen – ein Tag, der uns daran erinnert, wie wichtig seelische Gesundheit ist. In Zeiten permanenter Erreichbarkeit, wachsender beruflicher Anforderungen und gesellschaftlicher Umbrüche steht die mentale Balance vieler Menschen auf der Kippe. Schlafstörungen, Erschöpfung, Angstzustände und das Gefühl, ständig „funktionieren“ zu müssen, prägen den Alltag.

Einer, der diese Entwicklungen seit Jahren beobachtet, ist Dr. Bruno Pramsohler, ärztlicher Leiter des BLEIB BERG F.X. Mayr Retreats und Experte für Schlafmedizin, Stressbewältigung und Burnout-Prävention. Im Gespräch erläutert er, warum Stress nicht grundsätzlich schädlich ist, aber in zu großen Dosen zu einer gefährlichen Spirale werden kann – und wie wir durch bewusste Strategien, Schlafhygiene und Achtsamkeit wieder zu innerer Ruhe finden können.

Stress gehört zum Leben – aber er darf uns nicht bestimmen

„Stress ist die Würze des Lebens“, sagt Dr. Pramsohler in unserem Interview, ergänzt jedoch, „aber wenn es zu viel wird, kann er uns das Leben auch versalzen.“ Damit meint er: Ein gewisses Maß an Anspannung ist notwendig, um leistungsfähig und aufmerksam zu bleiben. Doch in der modernen Gesellschaft ist der Stress selten mehr ein kurzzeitiger Reiz – er ist Dauerzustand. Termine, E-Mails, ständige Erreichbarkeit und das Gefühl, immer „on“ zu sein, halten Körper und Geist in Alarmbereitschaft.

Pramsohler erklärt, dass unser Körper bei Stressreaktionen immer noch so reagiert wie vor Hunderten von Jahren: „Wenn früher im Tal ein Bär auftauchte, schüttete der Körper Stresshormone aus, um Energie für Flucht oder Angriff bereitzustellen – der Blutdruck, der Puls und der Blutzucker stiegen. Heute erleben wir dieselbe physiologische Reaktion, nur sitzen wir dabei im Auto, stecken im Stau und können nichts tun.“

Diese aufgestaute Energie kann nicht abgebaut werden – der Körper bleibt im Alarmzustand. „Deswegen ist körperliche Bewegung auch heute noch der beste Stressabbau“, betont er.

Burnout – wenn Dauerstress zum Stillstand führt

Ein weiterer Schwerpunkt von Dr. Pramsohlers Arbeit ist das Thema Burnout, das viele Menschen in sozialen, medizinischen und pädagogischen Berufen betrifft. „Burnout ist kein Modewort, sondern ein realer Zustand“, sagt er. „Es beschreibt das Gefühl, sich völlig ausgebrannt zu haben – nach Jahren der Überforderung und des inneren Drucks.“

In der Fachliteratur wird Burnout als psychischer Zustand beschrieben, der vor allem aus beruflichen Belastungen entsteht. „Typischerweise versucht jemand, in seiner Karriere voranzukommen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen“, erklärt der Experte. „Aber dieses Ziel ist realistisch gar nicht erreichbar – etwa, weil die Position besetzt ist oder die Bedingungen es nicht zulassen. Dennoch kann der Betroffene nicht loslassen.“

Das Resultat: Überarbeitung, Frustration, innere Leere. „Viele kompensieren, indem sie noch mehr arbeiten – und irgendwann kommt der Punkt, an dem gar nichts mehr geht.“ Er verweist auf die Ursprünge des Begriffs: „Burnout wurde erstmals in den 1970er-Jahren von dem Psychologen Herbert Freudenberger beschrieben – bei Sozialarbeitern in den USA, die emotional erschöpft waren. Später wurde der Begriff von Christina Maslach im europäischen Raum etabliert.“

Besonders gefährdet seien sogenannte High-Touch-Berufe – also Tätigkeiten, in denen intensiver Kontakt zu Menschen besteht: „Lehrer:innen, Polizist:innen, Ärztinnen, Pflegekräfte – alle, die viel geben, aber zu wenig zurückbekommen.“ Ein Warnsignal sei laut Pramsohler, „wenn man den anderen nicht mehr als hilfsbedürftigen Menschen wahrnimmt, sondern als Gegner – als jemanden, der einem auf die Nerven geht.“

Die Stress-Ampel: Ein Modell, das hilft, sich selbst zu verstehen

Im BLEIB BERG Retreat arbeitet Pramsohler mit einem von ihm und seinem Team entwickelten Konzept – der sogenannten Stress-Ampel. Sie besteht aus drei Ebenen:

  • Äußere Stressfaktoren: Dinge, die wir nicht immer beeinflussen können – etwa Arbeitsbelastung, familiäre Verpflichtungen, finanzielle Sorgen.
  • Innere Stressverarbeitung: Wie gehe ich mit diesen Reizen um? Kann ich priorisieren, abgrenzen, delegieren?
  • Regenerative Gegenseite: Wie gut gelingt es mir, zu entspannen und aufzutanken – im Urlaub, am Wochenende oder am Abend?

„Diese drei Ebenen beeinflussen sich gegenseitig“, erklärt Pramsohler. „Wer ständig unter Druck steht, aber keine Erholungsphasen hat, verliert irgendwann die Balance.“
Im Rahmen eines zehntägigen Stressprogramms wird deshalb zunächst die persönliche Stresshierarchie ermittelt – also, welche Faktoren den größten Einfluss auf das Wohlbefinden haben.

Mithilfe von Fragebögen und Einzelgesprächen werden die individuellen Belastungspunkte sichtbar gemacht. „Viele wissen gar nicht, was sie eigentlich stresst. Sie kommen abends nach Hause und sind erschöpft, aber können den Grund nicht benennen.“

Der „Stress-Detektiv“: Bewusst werden, was wirklich belastet

Um Stressoren zu erkennen, nutzen Pramsohler und sein Team eine Methode, die sie „Stress-Detektiv“ nennen. „Wir ermutigen unsere Gäste, genau hinzusehen: Welche Situationen bringen mich aus dem Gleichgewicht? Was passiert kurz davor? Was danach?“. Anhand solcher Analysen lassen sich konkrete Strategien entwickeln – individuell oder in der Gruppe.

Ein Beispiel: „Ein Mann kommt völlig gestresst von der Arbeit nach Hause. Seine Frau, ebenfalls erschöpft, drückt ihm die Kinder in die Hand und sagt: ‚Mach du jetzt, ich kann nicht mehr.‘ In so einer Situation helfen keine allgemeinen Ratschläge – da braucht es konkrete Lösungen. Vielleicht geht der Mann zu Fuß nach Hause, um abzuschalten. Oder er und seine Frau vereinbaren fixe Pausenzeiten. Wichtig ist, Optionen zu entwickeln.“

In Gruppensitzungen gehe es zunächst um Quantität: Wir sammeln so viele Lösungsideen wie möglich – auch absurde. Erst dann filtern wir, was praktikabel ist. Dieser kreative Prozess führt oft zu überraschend einfachen Lösungen.“

Achtsamkeit und Selbstmitgefühl – der innere Dialog zählt

Ein zentrales Werkzeug im Umgang mit Stress ist laut Dr. Pramsohler die Achtsamkeit. Dabei gehe es nicht um Esoterik, sondern um Bewusstheit.
„Eine einfache, aber sehr effektive Übung ist die Frage: Was würde ich einem guten Freund raten, der gerade in meiner Situation ist?“, sagt er. Oft sind wir zu streng mit uns selbst. Wir geben anderen gute Tipps, aber gönnen uns selbst kein Verständnis.“

Diese Perspektive helfe, den inneren Druck zu mindern. Auch soziale Unterstützung sei wichtig: Sich mitzuteilen ist keine Schwäche. Im Gegenteil: Wer über Belastungen spricht, nimmt sich selbst den größten Teil des Drucks.“ Er rät, sowohl im privaten Umfeld als auch am Arbeitsplatz offen zu kommunizieren. „Ich empfehle meinen Patient:innen immer, das Gespräch mit dem Vorgesetzten zu suchen. Offenheit hilft meist mehr als Schweigen.“

Dr. Pramsohler ist Neurologe und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Experte für Stress und Schlaf. Er ist zudem der wissenschaftliche Leiter der Schlafmedizin im BLEIB BERG F.X. Mayr Retreat. Auch seine speziellen Ausbildungen für Schlaganfalltherapie, Angststörungen und Demenz bringen einzigartige Kompetenzen in das Gesundheitshotel BLEIB BERG in Österreich.

Bildquellen

  • Burnout, Stress und Zukunftsängste: Istockphoto.com/ Jacob Wackerhausen

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