Wenn der Körper ein riesiges Uhrwerk wäre, das präzise ineinandergreift, dann wäre der Vagusnerv das unsichtbare Zahnrad, das alles miteinander verbindet. Er steuert den Herzschlag, bremst Entzündungen und aktiviert unsere Selbstheilungskräfte – ein stiller, aber unersetzlicher Regisseur, der dafür sorgt, dass unser Körper reibungslos funktioniert.
Lange Zeit blieb der Vagusnerv in der Medizin unbeachtet, doch neue Forschungen rücken ihn in den Mittelpunkt. Dieser unscheinbare Nerv, der sich vom Gehirn bis in die tiefsten Regionen unseres Körpers erstreckt, ist einer der mächtigsten Regulatoren unserer Gesundheit. Univ.-Prof. Maximilian Moser, einer der führenden Experten auf diesem Gebiet, zeigt, wie du ihn aktivieren kannst – und welche erstaunlichen Effekte das auf dein Wohlbefinden hat.
Warum der Vagusnerv unsere Gesundheit bestimmt
“Lange Zeit war mir selbst nicht bewusst, wie wichtig das parasympathische System und damit der Vagusnerv für unsere Gesundheit sind“, gibt Prof. Moser zu. Erst als Chronobiologe erkannte er, dass biologische Rhythmen oft schon gestört sind, bevor sich Krankheiten manifestieren.
Diese Rhythmen sind die inneren Taktgeber unseres Körpers – sie steuern Prozesse wie den Schlaf-Wach-Rhythmus, die Verdauung und sogar die Aktivität unseres Immunsystems. “Dann erkannte ich, dass der Vagus hinter diesen Rhythmen steht“, erklärt er. “Wenn die Vagusaktivität hoch ist, laufen diese Rhythmen harmonisch ab, was ein Zeichen für Gesundheit ist.“
Doch was genau macht der Vagusnerv? Er steuert unser Immunsystem, reguliert den Herzschlag und sorgt dafür, dass Entzündungen nicht überhandnehmen. „Er sagt dem Herz, ob es schnell oder langsam schlagen soll“, so Moser, „und bewahrt das Immunsystem vor zu heftigen Reaktionen.“
Erfahre hier mehr über die Bedeutung des Wohlfühl-Nervs in deinem Körper: Der Vagusnerv: So unterstützt er Immunsystem, Verdauung und Psyche
Gesundheit messen, bevor die Krankheit kommt
Spannend ist auch die Idee, dass man anhand der Vagusaktivität messen kann, ob jemand anfälliger für Krankheiten ist. Die Vagusaktivität kann durch die Herzratenvariabilität (HRV) gemessen werden. Dabei wird geprüft, wie unterschiedlich die Zeitabstände zwischen den Herzschlägen sind.
Ein gesundes Herz passt sich flexibel an – das zeigt eine hohe HRV und deutet auf eine gute Vagusaktivität hin. Ist die HRV niedrig, kann das auf Stress oder gesundheitliche Probleme hindeuten.
Statt erst zu handeln, wenn Krankheiten auftreten, könnte man also frühzeitig Schwächen im System erkennen. „In der Medizin werden nur Krankheiten gemessen, ein gesunder Mensch ist für die heutige Medizin oft ‚ohne Befund‘. Das ist eine große Schwachstelle“, kritisiert er.
Der Vagus als Schutzschild gegen Entzündungen
Ein besonders beeindruckender Aspekt ist die Rolle des Vagus bei Entzündungen. Moser erklärt: „Unser Immunsystem greift nicht nur Eindringlinge wie Bakterien oder Viren an, sondern auch eigene Körperzellen, wenn es nicht gezügelt wird.“ Hier kommt der Vagus ins Spiel: „Er meldet Entzündungsvorgänge an tiefe Gehirnbereiche, wo entschieden wird, ob die Entzündung sinnvoll ist oder gestoppt werden sollte.“
Das bedeutet: Viele Erkältungssymptome werden gar nicht direkt von Viren verursacht, sondern von einem überreagierenden Immunsystem. „Wird das Immunsystem nicht gebremst, kann eine Sepsis entstehen – eine systemische Entzündung, die lebensgefährlich ist.“
Studien zeigen sogar, dass eine gezielte Stimulation des Vagusnervs helfen könnte, schwere Erkrankungen wie COVID-19 zu lindern. „In Österreich hat elektrische Vagusstimulation über Punkte am Ohr bei schweren Coronainfektionen lebensrettend gewirkt“, so Moser. Doch leider wurde dieses Verfahren nicht breit genutzt.
Vagus-Training: Der Schlüssel zu einem gesunden Leben
Ein schwacher Vagusnerv kann zu chronischen Entzündungen, Diabetes, Arteriosklerose oder Gelenkerkrankungen führen. „Mit zunehmendem Alter nimmt die Vagusaktivität ab, und damit steigen die chronischen Erkrankungen“, erklärt Moser. „Damit man gesund alt wird, ist es wichtig, den Vagus zu trainieren – wie einen Muskel.“
Wie das geht? „Ein gesunder Lebensstil stärkt den Vagus automatisch“, sagt Moser. Dazu gehören achtsames Essen, regelmäßige Bewegung und eine positive Lebenseinstellung. Besonders wichtig ist es, Stress zu vermeiden. „Beim Dauerstress wird der Vagus als Erster zurückgefahren“, warnt Moser. Das hat fatale Folgen, denn dann kann der Körper nicht mehr regenerieren.
Wie moderne Technologie unseren Vagus schwächt
Doch unser modernes Leben macht es dem Vagus nicht leicht. „Das blaue Licht der Bildschirme unterdrückt die Melatoninproduktion und raubt uns die stärkste Vagusaktivierung: den Schlaf“, erklärt Moser. Auch WLAN und Funkverbindungen im Schlafzimmer können den Vagus negativ beeinflussen.
Die Lösung? „Bildschirmzeit am Abend begrenzen, WLAN nachts ausschalten und das Handy nicht mit ins Schlafzimmer nehmen.“
Einfache Übungen für einen starken Vagus
Für alle, die ihren Vagus gezielt stärken wollen, empfiehlt der Experte, die folgenden einfachen Übungen zu machen:
- Dankbarkeitsübung: Jeden Tag mindestens fünf Ereignisse notieren, für die man dankbar ist, und diese Dankbarkeit bewusst spüren. Das stärkt die positive Sicht auf das Leben und aktiviert den Vagus.
- Atemtechnik: Die 4:1-Atmung hilft bei Schlafproblemen – zwei Herzschläge einatmen, zwei ausatmen. Diese Atemtechnik entspricht der natürlichen Atmung im Tiefschlaf und fördert Entspannung.
- Musik und Naturgeräusche: Regelmäßige leise Klänge, sanfte Musik oder das Rauschen des Meeres unterstützen den Vagus. Auch Stille kann eine positive Wirkung haben.
Grenzen der Vagusaktivierung
Allerdings ist der Vagus nicht für jeden das ultimative Heilmittel. „Bei schwer traumatisierten Menschen kann eine Überaktivierung des Vagus zu Erschöpfung und Müdigkeit führen“, warnt Moser. Wichtig sei es, eine Balance zwischen Belastung und Erholung zu finden.
Und was ist mit den vielen teuren Geräten zur Vagusnerv-Stimulation, die derzeit den Markt erobern? Moser bleibt skeptisch: „Dort, wo es Studien gibt, sind die Ergebnisse oft positiv. Aber es braucht noch mehr Forschung, um den Nutzen genau zu bestimmen.“
Ein unterschätzter Schlüssel zur Gesundheit
Der Vagusnerv ist weit mehr als ein einfacher Bestandteil unseres Nervensystems – er ist unser innerer Heiler. „Wenn die Vagusaktivität hoch ist, bleiben die Selbstheilungskräfte aktiv“, fasst Moser zusammen.
Mit den richtigen Techniken kann jeder seinen Vagus trainieren und damit seine Gesundheit langfristig stärken. Und das Beste daran? Viele dieser Methoden machen nicht nur gesund, sondern auch glücklich.