Zwischen Abwehr und Selbstregulation: Dieses Protein ist der geheime Gamechanger

Ob MS, Lupus oder Lähmungskrankheiten, das Immunsystem spiel eine große Rolle

Unser Immunsystem ist ein wahres Wunderwerk. Es erkennt winzige Eindringlinge wie Viren, Bakterien oder Pilze und bekämpft sie mit beeindruckender Präzision. Doch manchmal kann dieses Abwehrsystem aus dem Gleichgewicht geraten – und dann richtet es sich plötzlich gegen den eigenen Körper. Autoimmunerkrankungen wie Rheuma, Multiple Sklerose oder Lupus sind Beispiele dafür.

Forschende der Medizinischen Universität Wien haben nun ein bisher wenig bekanntes Molekül entdeckt, das bei dieser Balance eine entscheidende Rolle spielt: TRAT1. Dieses Eiweiß scheint der Schalter zu sein, der das Immunsystem zwischen Angriff und Selbstkontrolle umschalten lässt – eine Entdeckung, die langfristig neue Therapien ermöglichen könnte.

Das Orchester der Abwehr – wie T-Helfer-Zellen unseren Körper steuern

Das Immunsystem funktioniert wie ein großes Orchester, in dem jede Zelle ihre Aufgabe hat. Die T-Helfer-Zellen (oder Th-Zellen) sind dabei die Dirigenten: Sie geben den Takt vor, wenn Krankheitserreger auftauchen. Treffen sie auf ein Virus oder Bakterium, aktivieren sie andere Immunzellen, etwa Killerzellen, die infizierte Zellen zerstören, oder B-Zellen, die Antikörper bilden. So wird die Abwehr gezielt auf den jeweiligen Feind abgestimmt.

Doch die Kraft dieser Zellen hat auch eine Kehrseite: Wenn sie zu stark reagieren, greifen sie plötzlich gesunde Zellen an. Um das zu verhindern, gibt es eine zweite Gruppe – die sogenannten regulatorischen T-Zellen oder Treg. Sie wirken wie eine Bremse und halten die Immunreaktion in Schach. Dieses Gleichgewicht zwischen Angriff und Kontrolle ist lebenswichtig. Gerät es aus der Balance, kann es zu chronischen Entzündungen oder Autoimmunerkrankungen kommen.

Genau an diesem Punkt spielt TRAT1 eine entscheidende Rolle. Es sitzt in der Zellmembran der T-Helfer-Zellen und sorgt dafür, dass die Signale im Inneren der Zelle richtig weitergegeben werden. Man könnte sagen: TRAT1 ist der „Lautstärkeregler“ des Immunsystems – es bestimmt, wie stark die Immunantwort ausfällt. Ohne diesen Regler droht Chaos im Orchester der Abwehr.

TRAT1 – der doppelte Regler des Immunsystems

Das Forschungsteam rund um Ralf Schmidt und Klaus Schmetterer von der Medizinischen Universität Wien hat TRAT1 nun genau untersucht. Ihre Ergebnisse zeigen: Dieses Molekül ist ein doppelter Regler – es wirkt sowohl im Angriff als auch in der Verteidigung. In den sogenannten effektorischen T-Helfer-Zellen, die aktiv gegen Krankheitserreger kämpfen, sorgt TRAT1 dafür, dass die Aktivierung kontrolliert abläuft. Wenn Forschende TRAT1 im Labor mithilfe der Genschere CRISPR/Cas9 ausschalten, werden diese Zellen zwar deutlich aktiver, verlieren aber ihre Fähigkeit, bestimmte Entzündungsstoffe wie Interleukin-17 zu produzieren. Das bedeutet: Ohne TRAT1 fehlt der Zelle die Feinabstimmung, die sie braucht, um gezielt zu reagieren.

In den regulatorischen T-Zellen (Treg) übernimmt TRAT1 dagegen eine ganz andere Aufgabe. Hier unterstützt es die „Bremsfunktion“ dieser Zellen, also ihre Fähigkeit, übermäßige Immunreaktionen zu unterdrücken. Interessant ist, dass TRAT1 dies nicht gleichmäßig bei allen Zelltypen tut – es steuert also sehr differenziert, welche Reaktionen gebremst werden.

Was jetzt im Labor sichtbar wurde, könnte in Zukunft das Leben vieler Menschen verändern – vor allem jener, deren Immunsystem zu oft den falschen Ton anschlägt wie bei Lupus, MS oder Lähmungserkrankungen.

Studienleiter Schmetterer fasst das so zusammen: TRAT1 ist ein doppelter Regler des Immunsystems. Es dämpft übermäßige Immunaktivität, stärkt aber gleichzeitig die gezielte Unterdrückung durch regulatorische T-Zellen.“

Damit ist TRAT1 wie ein intelligenter Schalter, der das Gleichgewicht zwischen Angriff und Selbstschutz fein abstimmt. Diese Erkenntnis ist nicht nur für die Grundlagenforschung spannend, sondern könnte auch für viele Krankheiten von Bedeutung sein.

Ein Molekül mit Zukunft – neue Wege für Immuntherapien

Die Entdeckung von TRAT1 ist mehr als ein weiterer Baustein in der Immunforschung – sie könnte ein Türöffner für neue Therapien sein. Wenn man versteht, wie TRAT1 Immunzellen steuert, lässt sich dieser Mechanismus möglicherweise nutzen, um maßgeschneiderte Behandlungen zu entwickeln.

Erstautor Tobias Frey erklärt: „Unsere Daten zeigen, dass TRAT1 der Schlüssel sein könnte, um das Immunsystem präzise zu regulieren. In einem 3D-Zellkulturmodell für Transplantationsabstoßung konnten wir diesen Effekt bereits nachweisen.“

Für Patientinnen und Patienten mit Autoimmunerkrankungen könnte das bedeuten, dass ihr überaktives Immunsystem gezielt beruhigt wird – ohne die gesamte Abwehr zu schwächen, wie es viele Medikamente heute tun.

Die Forschung soll nun weitergehen: In den kommenden Jahren wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen, wie TRAT1 bei verschiedenen Krankheiten reagiert und ob sich seine Aktivität gezielt beeinflussen lässt – zum Beispiel durch Medikamente oder gentechnisch veränderte Zellen.

Was heute noch Grundlagenforschung ist, könnte also schon bald zu neuen Therapien führen, die das Immunsystem intelligenter und präziser steuern als je zuvor.

Bildquellen

  • Lähmungskrankheit, MS oder Lupus: iStockphoto.com/ Paepaestockphoto

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