Egal wohin man blickt, man entdeckt dauernd neue Technologien, die einem das Leben leichter machen sollen. Dabei spielt Schlaf eine sehr wichtige Rolle — klar, es ist ja auch ein Drittel eines ganzen Tages (idealerweise also rund 8 Stunden pro Nacht) und nimmt im Verlauf eines Lebens mehrere tausend Tage ein.
Während des Schlafs regeneriert sich der Körper, Zellerneuerung und Stoffwechsel laufen auf Hochtouren – und auch Entgiftungsprozesse sind aktiv. Kein Wunder also, dass das Thema Schlaf in den letzten Jahren noch mehr in den Fokus gerückt ist — sei es das perfekte Kissen, die ideale Matratze oder eben: die Optimierung des Schlafs durch Technik.
Was ist Orthosomnie — Begriff und Entstehung
Orthosomnie beschreibt eine moderne Form der Schlafsorge: die obsessive Fixierung auf „gute“ Schlafdaten, wie sie von Fitnessarmbändern, Smartwatches oder Smartphone-Apps ausgegeben werden. Der Begriff wurde erstmals in einer Fallserie beschrieben, in der Ärztinnen und Ärzte bemerkten, dass Patientinnen nach intensiver Nutzung von Schlaf-Trackern mehr Schlafprobleme hatten statt weniger.
Die Menschen passten ihr Verhalten an, um bessere Zahlen zu erzielen, was die Schlafqualität paradoxerweise verschlechterte. Diese Beobachtung hat seitdem Diskussionen über Nutzen und Schaden von Verbraucher-Schlaftechnologien angestoßen.
Warum Schlaf-Tracker uns in die Irre führen können
Moderne Wearables messen Bewegungen, Herzfrequenzvariabilität, Atemfrequenz und gelegentlich weitere Parameter, um Schlafeinschätzungen zu liefern. Diese Algorithmen sind nützlich, liefern aber nur Näherungswerte — sie können beispielsweise Schlafstadien oder kurze Wachphasen nicht so zuverlässig wie ein klinisches „Schlaflabor“ unterscheiden.
Systematische Vergleiche zeigen, dass einige Geräte akzeptable Schätzungen für die Gesamtschlafdauer liefern, während die Genauigkeit für Schlafarchitektur (Light/Deep/REM) stark variiert. Kurz: Nicht jede Zahl auf dem Screen ist eine medizinisch korrekte Wahrheit.Wie Orthosomnie entsteht — Psychologie und Verhalten
Orthosomnie ist selten nur technikbedingt — sie entsteht im Zusammenspiel von Persönlichkeit, Erwartungshaltung und Technologie. Menschen mit perfektionistischen Tendenzen, hoher Kontrollbedürftigkeit oder bestehender Schlafangst sind besonders anfällig: Sie werten jede Nacht wie ein Test, vergleichen Werte, verlängern das Zeitfenster im Bett oder verändern Schlafroutinen in dem Versuch, „bessere“ Zahlen zu erzwingen.
Dieses Verhalten kann zu grübelnden Gedanken vor dem Einschlafen, zu häufiger Kontrolle der Geräte nachts und schließlich zu einer Verschlechterung des Schlafes führen — genau ja das, was ursprünglich verhindert werden sollte. Neuere Studien vermuten, dass solche Verhaltensweisen häufiger sind als gedacht.
Evidenz: Was sagen Studien zur Prävalenz und zum Effekt?
Die Forschung zu Orthosomnie ist noch jung, aber zunehmend datenbasiert. Eine weitere Untersuchung hat etwa versucht, die Häufigkeit orthosomnischer Tendenzen in einer allgemeinen Bevölkerung zu schätzen und kommt auf nicht unerhebliche Werte — was nahelegt, dass das Phänomen über Einzelfälle hinausreicht und öffentliche Gesundheitsrelevanz haben könnte.
Parallel dazu zeigen Validierungsstudien von Wearables, dass manche Geräte bei der Schätzung der Gesamtschlafzeit brauchbar sind, bei der Einordnung von Schlafqualität und -stadien aber deutliche Grenzen haben. Die Kombination dieser Studienlage legt nahe: Die Technologie liefert Zahlen — die klinische Interpretation bleibt aber weiter Aufgabe von Schlafexpertinnen und -experten.
Konsequenzen: Wann wird aus Tracking ein Problem?
Nicht jeder, der seine Nächte trackt, entwickelt Orthosomnie — doch bei manchen können die Folgen gravierend sein: verschlechterte Einschlafzeit, vermehrtes nächtliches Aufwachen durch Kontrollverhalten, Angst vor „schlechten“ Nächten und sogar Verhaltensweisen wie exzessive Zeit im Bett, die den Schlaf rhythmisierend stören.
Therapeutisch begegnen Schlafmedizinerinnen solchen Fällen oft mit klassischen, evidenzbasierten Methoden wie der kognitiven Verhaltenstherapie bei Insomnie, die hilft, schädliche Gedankenschleifen und Schlafhygiene-Fehler zu korrigieren. Ebenso wichtig ist die psychoedukative Komponente: Patientinnen müssen verstehen, dass Tracker Hilfsmittel sind, keine Diagnosen.
Praktische Tipps: Wie bleibt man informiert ohne sich zu verlieren?
Wer Technik nutzen möchte, ohne in die Orthosomnie-Falle zu tappen, kann einige einfache Regeln befolgen
• Werte in Kontext setzen: Eine einzelne „schlechte“ Nacht ist normal — Trends über Wochen sind aussagekräftiger.
• Abstand wahren: Geräte nachts nicht kontinuierlich ansehen und Push-Benachrichtigungen ausstellen.
• Fokus auf Verhalten: Schlafhygiene, regelmäßige Zeiten und entspannende Abendrituale sind oft effektiver als das Jagen nach einer Zahl.
• Professionelle Beratung suchen: Bei anhaltenden Schlafproblemen ist der Gang zur Hausärztin oder zu einer Schlafambulanz ratsam.
Diese Ansätze kombinieren Technikbewusstsein mit Selbstfürsorge und verhindern, dass Daten zur Belastung werden. Für Empfehlungen zur Nutzung von Wearables diskutieren Fachgesellschaften die Grenzen und sinnvolle Einsatzbereiche in einer weiteren Studie.
Ein realistischer Ausblick: Technik, Forschung und Verantwortung
Die Technologie wird sich weiterentwickeln — bessere Sensorik, KI-gestützte Analysen und größere Validierungsstudien können die Aussagekraft von Schlafdaten mittels Smartwatch oder Ringen verbessern.
Gleichzeitig wächst aber auch die Verantwortung von Herstellerinnen: Transparente Angaben zur Genauigkeit, klarere Kommunikation darüber, was eine Messung aussagt (und was nicht), sowie Warnhinweise bei übermäßigem Monitoring wären wünschenswert. Für Nutzerinnen und Nutzer heißt das: Technik kann unterstützen, darf aber nicht die Ruhe und das Vertrauen in den eigenen Körper ersetzen – denn das ist das wichtigste für mehr Ruhe und Wohlbefinden.
Bildquellen
- Schlaftracker beim Schlafen: iStockphoto.com/ AleksandarGeorgiev

