Wer schlecht schläft, weiß, wie zermürbend das sein kann: Die Nacht zieht sich endlos, Gedanken kreisen, der Wecker klingelt viel zu früh – und am nächsten Tag ist der Kopf wie vernebelt. Schlafprobleme sind längst zu einem Massenphänomen geworden. Studien zeigen, dass mehr als ein Drittel der Bevölkerung regelmäßig unter Einschlaf- oder Durchschlafstörungen leidet.
Für Dr. Bruno Pramsohler, ärztlicher Leiter des BLEIB BERG F.X. Mayr Retreats und Experte für Schlafmedizin, ist klar: „Schlaf ist kein passiver Zustand, sondern ein hochaktiver, rhythmischer Vorgang des Gehirns, bei dem Hormon- und Neurotransmittersysteme fein abgestimmt zusammenarbeiten.“
Schlaf sei damit das wichtigste Regenerationssystem des Menschen – und eines, das in unserer modernen Gesellschaft permanent gestört wird. Doch wie kann man Schlafprobleme lösen? Wir haben nachgefragt und sehr hilfreiche Tipps bekommen.
Schlafforscher erklärt: Schlaf ist die Erholung des Gehirns
Viele Menschen glauben, im Schlaf „schalte der Körper einfach ab“. Doch genau das Gegenteil passiert, erklärt der Schlafexperte: „Im Schlaf laufen im Gehirn hochkomplexe Reparaturprozesse ab. Informationen werden sortiert, Erinnerungen konsolidiert, Stoffwechselprodukte abtransportiert, Immunzellen aktiviert.“
Gesunder Schlaf besteht idealerweise aus einem klaren Wechsel der Schlafphasen: etwa 50 % Leichtschlaf, 25 % Tiefschlaf und 25 % REM-Schlaf, der sogenannten Traumphase. „Alle Phasen sind wichtig – wie in einer Autowaschanlage: Schaum, Waschen, Trocknen. Wenn eine Phase fehlt, bleibt etwas unvollständig“, sagt Pramsohler.
Doch bei vielen Menschen ist diese Balance gestört. Dauerstress, Schichtarbeit, künstliches Licht oder ständige Smartphone-Nutzung bringen den biologischen Rhythmus durcheinander. Das Gehirn weiß dann nicht mehr, wann Tag und wann Nacht ist – die Folge sind Ein- und Durchschlafprobleme, aber auch chronische Erschöpfung.
Wenn Stress den Schlaf raubt
Stress und Schlaf sind eng miteinander verbunden – ein Kreislauf, der sich leicht in die falsche Richtung dreht. „Viele nehmen ihren Stress mit ins Bett“, sagt Dr. Pramsohler. „Wenn man dann ein paar Nächte schlecht geschlafen hat, verlängert man automatisch die Bettzeit – in der Hoffnung, mehr Schlaf zu bekommen. Das ist kontraproduktiv.“
Das Problem: Wer länger im Bett bleibt, ohne zu schlafen, konditioniert sein Gehirn darauf, das Bett mit Wachsein zu verbinden. So verfestigt sich die Schlafstörung. Die Lösung sei überraschend einfach – Rhythmus bewahren und nicht zu früh ins Bett.
„Wichtig ist, zur gewohnten Zeit aufzustehen, auch wenn man schlecht geschlafen hat. Der Körper reguliert sich dann selbst. Verlängerte Bettzeiten verstärken die Schlafstörung nur“, so der Experte. Schlaf, so Pramsohler, sei „kein fragiles Glas, das leicht zerbricht, sondern ein dynamisches System, das sich wieder einpendelt, wenn man ihm die Chance dazu gibt.“
Das Gedankenkarussell stoppen
Viele kennen es: Man liegt im Bett, will endlich zur Ruhe kommen – doch im Kopf drehen sich die Gedanken. Termine, Sorgen, Gespräche, To-do-Listen. „Unser Gehirn ist nachts nicht lösungskompetent“, sagt Pramsohler klar. „Man findet in der Nacht keine guten Antworten – dafür ist das Gehirn nicht gemacht.“
Hier hilft eine einfache, aber wirkungsvolle Methode: das Sorgenbuch. „Setzen Sie sich abends 20 Minuten hin, schreiben Sie Ihre Gedanken auf – Sorgen, To-dos, offene Punkte. Dann schließen Sie den Tag bewusst ab“, empfiehlt der Schlafmediziner. „Wenn später etwas einfällt, notieren Sie es kurz und sagen Sie sich: Ich kümmere mich morgen darum.“ So signalisiert man dem Gehirn: Die Themen sind „abgelegt“ – sie müssen nicht weitergedacht werden. Dieses kleine Ritual kann das Grübeln deutlich reduzieren und die Einschlafzeit verkürzen.
Regeneration ist keine Schwäche – sie ist Voraussetzung für Stärke
Ein weiterer negativer Punkt in unserer Zeit: Erholung ist in unserer Leistungsgesellschaft oft negativ konnotiert – als Faulheit oder Schwäche. Für Dr. Pramsohler ist das ein fataler Irrtum: „Regeneration ist kein Luxus, sondern notwendig. Wir brauchen im Jahr etwa zwei längere Erholungsphasen von jeweils rund zwei Wochen – und regelmäßig kleine Auszeiten im Alltag.“
Doch viele machen im Urlaub das Gegenteil von Erholung. „Manche fahren weg, um sich zu entspannen, und kommen völlig erschöpft zurück, weil sie alles sehen und erleben wollen. Dann hat man Freizeitstress statt Erholung.“
Die Kunst besteht darin, das richtige Maß zu finden. „Wer im Job ständig mit Menschen zu tun hat, braucht im Urlaub vielleicht Stille und Rückzug. Wer dagegen einsam arbeitet, profitiert von Gesellschaft. Das Erholungsrezept ist individuell.“ Sein Leitsatz: Eine Pause ist eine Pause – keine neue Aufgabe.
Warum Selbstoptimierung den Schlaf sabotiert
In Zeiten von Smartwatches, Fitness-Trackern und Schlaf-Apps wollen viele nun auch wissen, wie gut sie wirklich schlafen. Doch genau das kann zum weiteren Problem werden. „Das Schlafzimmer ist kein Ort der Selbstoptimierung“, warnt Pramsohler. „Wenn mich meine Uhr am nächsten Morgen darüber informiert, dass ich nur sieben Prozent Tiefschlaf hatte, schlafe ich in der kommenden Nacht garantiert noch schlechter. Schlaf darf kein Wettbewerb sein.“
Diese Form der Selbstbeobachtung erzeugt zusätzlichen Leistungsdruck – ausgerechnet in einer Situation, in der Loslassen gefragt ist. Schlaf ist, so der Experte, „vor allem eine Sache des Vertrauens. Der Körper weiß, wie das geht – man muss ihn nur lassen.“
Das Ziel müsse sein, eine entspannte, gesunde Haltung zum Schlaf zu entwickeln – nicht, ihn zu kontrollieren. „Die größte Hilfe ist oft, den Menschen die Angst zu nehmen, dass schlechter Schlaf gefährlich sei“, sagt Pramsohler. „Der Schlaf kommt, wenn man ihm Raum gibt.“
Kleine Rituale mit großer Wirkung
Um besser zu schlafen, braucht es keine komplizierten Methoden, sondern beständige Rituale. Dr. Pramsohler empfiehlt eine feste Abendroutine – etwa: Bildschirm abschalten, Licht dimmen, Fenster öffnen, kurze Atemübung, dann ins Bett. „Der Körper liebt Wiederholung. Wenn Sie jeden Abend das Gleiche tun, weiß das Gehirn: Jetzt kommt die Schlafenszeit.“
Auch Bewegung hilft, allerdings nicht zu spät am Abend. „Sport baut Stresshormone ab, aber wer direkt vor dem Schlafengehen joggt, aktiviert das System zu stark.“
Und: Das Bett sollte ausschließlich zum Schlafen und für Sexualität genutzt werden. „Wer im Bett fernsieht, arbeitet oder am Handy surft, verwirrt sein Gehirn. Es muss das Bett wieder mit Ruhe und Erholung verbinden.“
Der Powernap – ja, aber richtig
Kurzschlaf am Tag kann wohltuend sein – wenn er richtig dosiert wird. „Ein Powernap sollte nur so lange dauern, dass man im Schlafstadium 2 bleibt“, erklärt der Experte. Das bedeutet: maximal 20 bis 25 Minuten. Wird der Tiefschlaf erreicht, fällt das Aufstehen schwer und man fühlt sich benommen.
Doch nicht jeder profitiert davon. „Personen, die unter Schlafstörungen leiden, sollten auf einen Powernap lieber verzichten, da sie sich dadurch die nächtliche Schlafenszeit stehlen können“, rät Pramsohler. Wer gesund schläft, kann ihn aber bewusst als Energie-Boost nutzen – besonders in stressigen Phasen.
Schlaf und mentale Gesundheit – zwei Seiten derselben Medaille
Guter Schlaf ist mehr als körperliche Regeneration – er ist die Grundlage psychischer Stabilität. „Menschen, die über längere Zeit schlecht schlafen, entwickeln häufiger Angstzustände, Depressionen oder Burnout“, erklärt der Experte. Schlafmangel beeinträchtigt die Emotionsregulation: Reize werden stärker, Stimmungen instabiler. Gleichzeitig sinkt die Konzentrationsfähigkeit, das Immunsystem schwächelt, und die Reizbarkeit steigt.
Doch das Gute: Schon kleine Verbesserungen wirken sich spürbar positiv aus. „Wer konsequent seinen Rhythmus hält, auf Koffein am Nachmittag verzichtet und sich regelmäßig bewegt, erlebt meist schon nach wenigen Tagen, dass der Schlaf ruhiger wird.“
Die Kunst, mit sich selbst freundlich zu sein
Am Ende unseres Gesprächs fasst Dr. Pramsohler zusammen, worum es eigentlich geht: „Wir werden Stress nie vollständig eliminieren – das wäre auch gar nicht sinnvoll. Aber wir können lernen, ihn zu verstehen und bewusst zu steuern.“
Schlaf sei dabei der zentrale Indikator: „Wenn der Schlaf gestört ist, sendet der Körper ein Warnsignal. Er sagt uns: Du brauchst Ruhe.“ Darum rät er zum achtsamen Umgang mit sich selbst – im Alltag wie im Bett: „Sorgen Sie gut für sich. Reden Sie über Ihre Belastungen. Halten Sie Ihren Schlafrhythmus ein. Und akzeptieren Sie, dass Sie nicht immer perfekt funktionieren müssen.“
Denn Schlaf, so der Experte, ist ein Spiegel unserer inneren Balance. „Wenn wir lernen, auf diesen Spiegel zu achten, finden wir zurück zu uns selbst – Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug.“
Bildquellen
- Schlafprobleme sind weit verbreitet: Istockphoto.com/ Jacob Wackerhausen

