„Celibacy“: Warum immer mehr auf Enthaltsamkeit setzen

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Trendbewegung Enthaltsamkeit

Es gibt immer mehr Trends in Bezug auf sexuelle Praktiken, aber eine der am meisten diskutierten ist die Enthaltsamkeit. Zölibat, auch bekannt im Netz als „Celibacy“, beschreibt den freiwilligen Verzicht auf sexuelle Aktivitäten, insbesondere in Form von sexuellen Beziehungen oder eben Sex. Neben religiösen oder spirituellen Gründen wird Enthaltsamkeit immer häufiger auch aus gesundheitlichen Gründen gewählt. Für manche ist der Verzicht auf sexuelle Beziehungen eine Möglichkeit, sich stärker auf die Arbeit zu konzentrieren und sich von Ablenkungen sexueller Art zu distanzieren. Die Trendbewegung, die zunächst bei Männern populär wurde, ist inzwischen auch bei Frauen angekommen. In sozialen Netzwerken wie TikTok oder Youtube wird über die persönlichen Erfahrungen berichtet. Doch was ist an dem Hype dran und steckt mehr dahinter?

 „No Fap“ vs. „Celibacy“

Wenn man an den Abstinenztrend denkt, fällt vielen wahrscheinlich der Begriff „No Fap“ ein. Dabei handelt es sich jedoch um den freiwilligen Verzicht auf sexuelle Aktivitäten, vor allem Masturbation und das Anschauen von Pornos, und um eine ausschließlich männliche Bewegung, die erstmals 2006 in Internetforen von Bodybuildern auftauchte. „No Fap“ strebt auch nicht unbedingt eine dauerhafte Abstinenz an, ganz im Gegenteil. Es kann sich um kurze Enthaltsamkeitsphasen handeln, z. B. einen bestimmten Monat. Bei „Celibacy“ hingegen geht es zwar auch um den freiwilligen Verzicht auf Sexualität, aber auch um religiöse Absichten sowie spirituelle Motive. Der Hintergrund kann auch eine ernsthafte und langfristige Entscheidung sein.

Frauen im Vormarsch

Seit einigen Monaten jedoch wurde „Celibacy“ mit den Social Media Postings zu der gängigsten Begrifflichkeit, um den Sexverzicht der Menschen jeglichem Geschlecht, Alters oder Religion zu beschreiben. Meist sind es junge Menschen, die auf den Plattformen über ihre Erfahrungen zu „Celibacy“ sprechen. Auf TikTok gibt es 277 Millionen Views mit dem Hashtag „Celibacy“,  weitere 13 Millionen erscheinen unter „Celibacygang“. Besonders junge Frauen berichten darüber, so lang wie möglich auf Sex verzichtet zu haben, und empfehlen es auch anderen weiter. Doch warum wollen immer mehr junge Menschen auf körperliche Nähe verzichten? Der Rückgang der sexueller Aktivität bei jungen Menschen ist seit einiger Zeit ein Forschungsschwerpunkt. Eine Studie der Indiana University  kam zu folgendem Ergebnis: Der Anteil der Befragten, die weder allein masturbieren noch sexuelle Kontakte haben, ist von 28% bei jungen Männern und 49% bei jungen Frauen auf 43% bei jungen Männern und sogar auf 74% bei jungen Frauen angestiegen.

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Selbstbestimmung und Kontrolle

Auf den Social Media findet man einige Beweggründe der „Anti-Sex“-Bewegung: Die Enthaltsamkeit sollte die persönliche Entwicklung und die Selbstkontrolle schulen. Mehr Konzentration, besserer Schlaf sowie einen klareren Kopf sollte auch ein Benefit des Sexverzichtes sein. Auch die mögliche ungewollte Schwangerschaft ist ausgeschlossen. Zudem sehen viele Männer und eben auch mittlerweile Frauen sehen die Enthaltsamkeit als neue Möglichkeit, ihre Willenskraft zu stärken und bewusster mit ihren sexuellen Impulsen umzugehen. Indem sie bewusst auf sexuelle Befriedigung verzichten, können sie ihre Selbstbeherrschung trainieren und ein tieferes Verständnis für ihre Bedürfnisse entwickeln – so das Versprechen in den viralen Videos. Ziel ist auch die Stärkung der emotionalen Bindung in Beziehungen, da der Fokus auf mehr als nur „das Eine“ gerichtet werden soll.

Hintergründe für „Celibacy“

Mögliche Hintergründe für die Abstinenzbewegung unter Jugendlichen werden in der Sexualforschung immer wieder diskutiert. Ein möglicher Faktor könnte sein, dass gerade die Digitalisierung oft der Auslöser sein kann: Der ständige Zugang zu sexuellen Inhalten, sei es über Pornoplattformen, OnlyFans-Accounts oder sexualisierte Social Media Posts, erzeugt bei manchen eine Ablehnung gegenüber Sex. Auch Unsicherheiten oder unrealistische Vorstellungen können entstehen. Die Sexualpädagogin Cornelia Lindner erklärt in einem Interview, dass sie das Risiko nicht im pornografischen Material, sondern in der Medienkompetenz der Gen Z sieht: „Wer zwischen Realität und Fantasie – sprich Pornografie – unterscheiden kann und Pornos nicht ausschließlich zur Lustgewinnung konsumiert, wird auch seine eigene Sexualität nicht zwangsläufig negativ beeinflussen“. Auch der Aspekt der Dating-Apps spielt in den Diskussionen um „Celibacy“ eine große Rolle. Durch die vermeintliche Angebotsflut auf diesen Dating-Plattformen, die laut einer Studie der Universität Wien auch ein Gefühl der Überforderung bei der Partnerwahl auslöst, werden oft nur schnelle Bekanntschaften gepflegt. Die Folge sind meist weniger respektvolle Begegnungen und One-Night-Stands statt langfristiger Bindungen. Viele junge Menschen, die seit ihrer Jugend mit diesen Dating-Apps konfrontiert sind, betonen online, dass sie Enttäuschungen und die Schnelllebigkeit satt sind. Sie sehnen sich nach realen Begegnungen, die sie emotional statt körperlich befriedigen. Dennoch: Es fehlt noch an Studien, die weitere Motive aufzeigen.

Eine persönliche Entscheidung

Die Abstinenzbewegung wirft wichtige Fragen zur Sexualität, zur persönlichen Entwicklung und zu den Generationenunterschieden auf. Letztlich ist die Entscheidung für oder gegen Abstinenz eine sehr persönliche Entscheidung, die von individuellen Werten, Überzeugungen und Zielen abhängt und nicht von Trendbewegungen stimuliert werden sollte. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Tendenz entwickelt und welche Auswirkungen sie auf die Gesellschaft als Ganzes haben wird.

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