#sorrynotsorry: Warum sich Frauen häufiger entschuldigen als Männer

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Entschuldigen als Reflex

In einer Zeit, in der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung zwar immer stärker betont werden, offenbaren aktuelle Studien eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Alltag vieler Frauen. Diese haben gezeigt, dass Frauen tendenziell häufiger und schneller bereit sind, sich zu entschuldigen als Männer– ganze 75 Prozent häufiger. Doch warum ist das so und was sagt die Wissenschaft?

Höflichkeit oder Angst?

Die Unterschiede im Entschuldigungsverhalten zwischen Frauen und Männern sind in der Psychologie ein faszinierendes Thema, das auch tief in die sozialen und kulturellen Aspekte unserer Gesellschaft eintaucht. Eine aktuelle Studie des Marktforschungsinstituts TQS hat eine in Österreich durchgeführte Umfrage veröffentlicht, die zeigt, dass sich Frauen signifikant häufiger entschuldigen als Männer. Die Daten sind eindeutig: 89% der befragten Frauen sehen im Entschuldigen ein Zeichen von Höflichkeit und Anstand. Doch die Studie geht tiefer und enthüllt, dass 76% der Frauen sich schon entschuldigt haben, ohne es für notwendig zu halten.

Top Gründe für Entschuldigungen

Frauen rutscht gerne einmal ein „Sorry“ heraus, sei es bei körperlichen Berührungen (79 Prozent) oder auch, wenn Frauen eine Frage beginnen: Das Wort „Entschuldigung“ wird bei 77 Prozent der Befragten gleich zu Beginn eingeleitet. Ein weiterer Faktor: Jemanden anderen auf etwas hinweisen gehen bei 68 Prozent starten mit einer Entschuldigung sowie wenn sich wieder einmal zu wenig Zeit für andere haben. Ganz 63 Prozent entschuldigt sich deshalb regelmäßig im Bekanntenkreis. Diese Entschuldigungen passieren oft automatisch, aus Höflichkeit, um Konflikte zu vermeiden oder aufgrund gesellschaftlicher Erwartungen. Besonders beunruhigend ist, dass jede zehnte Frau angibt, sich aus Angst vor Gewalt zu entschuldigen.

Junge Frauen stark betroffen

Aus der neuen Studie geht auch hervor, dass sich besonders junge Frauen zwischen 18 und 29 Jahren häufig im Alltag entschuldigen. Dabei geht es oft um ihr Aussehen: 52% haben das Gefühl, sich für ihr Gewicht rechtfertigen zu müssen, weitere 46 % sind Entschuldigungen wegen ihrer Körperbehaarung und Hautunreinheiten mit 44 Prozent als relevante Entschuldigungsgründe. So verwundert es kaum, dass sich 69 Prozent der Frauen gerne weniger oft entschuldigen würden. Doch ändern wollen sich nicht nur die Frauen: 66 Prozent der Befragten wünschen sich einen Wandel, der Frauen ermutigt, sich weniger zu entschuldigen.

Entschuldigen im Alltag

Wo entschuldigen sich Frauen am häufigsten? Die Umfrage zeigt auch, dass vor allem im Freundes- und Bekanntenkreis sowie im Berufsleben häufig „Sorry“ gesagt wird. Physischer Kontakt, das Einleiten einer Frage mit einer Entschuldigung und persönliche Fehler sind die häufigsten Situationen, in denen Frauen sich entschuldigen. Auch das Gefühl, nicht genug Zeit für andere zu haben, führt oft zu einem reflexartigen „Entschuldige“.

Unterschiede beim Entschuldigen: Empathie und soziale Bindungen

Ein zentraler Faktor ist die unterschiedliche Entwicklung von Empathie und sozialen Bindungen bei Frauen und Männern. Frauen werden oft als empathischer wahrgenommen und sind in der Regel stärker darauf bedacht, harmonische Beziehungen aufrechtzuerhalten. Diese erhöhte Sensibilität für die Gefühle anderer kann dazu führen, dass Frauen häufiger das Bedürfnis verspüren, sich zu entschuldigen, um Konflikte zu vermeiden und positive soziale Bindungen zu fördern. Männer hingegen könnten sich weniger schnell entschuldigen, da sie Konflikte möglicherweise eher als Herausforderung denn als Bedrohung für die Beziehung sehen.

Mehr dazu: „Trad Wives“: Ein Rückschritt für den Selbstwert von Frauen?

Rollenerwartungen bei Frau und Mann

Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die sozialen Normen und Rollenerwartungen, die Männer und Frauen unterschiedlich beeinflussen. Traditionell wird von Frauen erwartet, dass sie sich rücksichtsvoll, elegant und höflich verhalten, was das häufigere Entschuldigen unterstützt. Männer hingegen werden oft dazu ermutigt, Stärke und Unabhängigkeit zu zeigen, was dazu führen kann, dass sie weniger bereit sind, Schwäche durch eine Entschuldigung zuzugeben. Diese Rollenerwartungen werden schon früh in der Kindheit vermittelt und prägen das Verhalten im Erwachsenenalter.

Kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse

Schließlich beeinflussen auch kulturelle Rahmenbedingungen das Entschuldigungsverhalten. In Kulturen, die großen Wert auf kollektive Harmonie und sozialen Zusammenhalt legen, könnten Frauen noch stärker in ihrer Neigung bestärkt werden, sich zu entschuldigen. Gesellschaften, die Individualismus und persönliche Stärke betonen, könnten hingegen dazu beitragen, dass Männer seltener das Bedürfnis verspüren, sich zu entschuldigen. Diese kulturellen Einflüsse variieren weltweit und tragen zu den unterschiedlichen Mustern im Entschuldigungsverhalten bei.

Der Wunsch nach Veränderung

Interessanterweise wünschen sich 69% der Frauen, seltener eine Entschuldigung aussprechen zu müssen. Die Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen führt bei der oben genannten Studie hier mit 79%. Die Sehnsucht nach einem gesellschaftlichen Wandel, der Frauen ermutigt, sich weniger zu entschuldigen, ist ebenfalls stark: 66% der Befragten sprechen sich dafür aus.

Entschuldigen und seine Folgen

Die Studie spiegelt einen gesellschaftlichen Druck wider, der Frauen zu einer übermäßigen Entschuldigungsbereitschaft drängt. Dies wird besonders deutlich, wenn Frauen sich für ihr Aussehen entschuldigen, was bei den Jüngeren noch häufiger vorkommt. Rosmarie Rotter von Palmers, dem Wäschehersteller und Auftraggeber der Studie, kommentiert die Ergebnisse mit einem Appell: Frauen sollen zu sich stehen und sich nicht für ihre Vielfältigkeit entschuldigen müssen.

Fazit

Diese Erkenntnisse laden dazu ein, über die eigenen Entschuldigungsmuster nachzudenken und vielleicht auch mal ein selbstbewusstes „End of Sorry“ zu wagen. Denn letztendlich geht es darum, authentisch zu sein – ohne ständig um Verzeihung zu bitten für das, was wir sind oder wie wir uns fühlen.

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